Rotenburg wacht langsam auf

Betriebsplatz Bötersen Z10(2) im 1. Halbjahr 2008, 2 Fracks am 1. Nov. 2008: Damals haben Politik und Verwaltung in Rotenburg noch tief und fest geschlafen
Betriebsplatz Bötersen Z10(2) im 1. Halbjahr 2008, 2 Fracks am 1. Nov. 2008: Damals haben Politik und Verwaltung in Rotenburg noch tief und fest geschlafen
Rotenburger Ortspolitiker fordern Ausweitung der Kontrollen von Erdgasförderplätzen, ein Verbot von offenen Gasfackeln und einen 1000-Meter-Abstand für Fracking von allen schutzwürdigen Gebieten
Fracking selbst bleibt aber unangetastet


 
Seit über 110 Jahren werden im Landkreis Rotenburg an der Wümme Öl und Gas gefördert. Diese Industrie gehört hier zum Alltag, ist nichts Besonderes, gibt vielen Lohn und Brot. Der erste Frack fand hier laut der offiziellen Frac-Liste des LBEG [PDF] im Jahre 1982 statt, im Gasfeld Söhlingen, in der Bohrung Z4. Nach der offiziellen Frac-Liste gab es insgesamt 69 Fracks allein in diesem Landkreis – es muss allerdings bezweifelt werden, dass diese Liste vollständig ist, denn in der Bohrung Wittorf Z1(2) ist Zeitzeugen zufolge auch wenigstens einmal gefrackt worden. Dieser Frack fehlt aber auf der LBEG-Liste.

Am Anfang wurde diese „neue Technologie aus Amerika“ bestaunt und imponierte nur, kaum jemand hat sich etwas dabei gedacht außer dem damals zeitgemäßen Motto „Das ist Fortschritt, das bringt Wachstum und Wohlstand“.

Inzwischen hat sich das grundlegend geändert. Seit Frühjahr 2014 fördern Anwohner und Umweltschützer mehr und mehr konkrete Hinweise auf die negativen Umwelt- und Gesundheitsfolgen der gängigen Erdgasförderung zu Tage. Die bringen mittlerweile sämtliche Ebenen der niedersächsischen Verwaltung auf Trab. Eilige Pressestatements aus dem Wirtschaftsministerium, mit heißer Nadel genähte Pressemitteilungen vom Landesbergamt, Krisensitzungen mit kommunaler Verwaltung, Landesbergamt, Unternehmen und Bürgern, das Unternehmen ExxonMobil, das seine Praktiken scheibchenweise preisgibt – was ist hier im Landkreis all die Jahre vor sich gegangen?

„Verdachtsmomente und Gefährdungsvermutungen“
„Verdachtsmomente und Gefährdungsvermutungen haben ein Ausmaß erreicht, dass nicht länger ignoriert werden darf“, begründet Bernd Wölbern (SPD) den gemeinsamen Antrag der SPD-, Grünen- und WFB-Fraktion im Rotenburger Kreistag, der am 10. Juli in der Kreistagssitzung in Bremervörde diskutiert werden soll. Es drängt sich die Frage auf, was wäre, wenn Anwohner und Umweltschützer jetzt nicht mit dem Finger auf die Missstände gezeigt hätten, wenn sie keine „Verdachtsmomente“ auf den Tisch gelegt und keine „Gefährdungsvermutungen“ provoziert hätten. Würde Rotenburg dann weiterschlafen und den jüngst installierten „Arbeitskreis Fracking“ weiter als Feigenblattveranstaltung vor sich hindümpeln lassen? Würden die Verschmutzungen weiter passieren und die Gasindustrie weiter so praktizieren, während die zuständigen Behörden wegschauen?

Am 10. Juli wird also im Rotenburger Kreistag diskutiert, wie das Unheil abgestellt werden kann. Die Beschlussvorlage des Kreisrats Lühring gibt die Richtung vor. Von einer Ablehnung des Fracking oder gar einer Verbotsforderung steht da nichts. Die Vorlage berücksichtigt die Anträge der CDU/FDP-Fraktion und des Linken-Abgeordneten Damberg. Während Damberg die „zügige Offenlegung aller über die Gasförderplätze vorliegenden Gutachten und Messwerte und sonstige Erkenntnisse über die Ausbreitung von Schadstoffen über Boden , Luft und Wasser bei den Frackingmaßnahmen im LK ROW und eine Diskussion im Umweltausschuss mit unabhängigen Experten“ fordert, wünscht sich Willi Bargfrede im Namen seiner Fraktion das sofortige Verbot von offenen Fackeln (außer in Notfällen) und deren Ersatz durch enclosed burners, welche Licht- und Schallemissionen sowie den Ausstoß von Stickoxiden mindern. Warum die Fraktion nicht den sofortigen Stopp des nutzlosen Abfackelns anregt, wird sie eventuell in der Sitzung erläutern.

Kasperletheater
Dem Abgeordneten Damberg dauert das alles schon viel zu lange. Ist er doch schon seit Jahren dabei, mit Anfragen und Anträgen auf die Gefahren der unkontrollierten Erdgassuche und -förderung hinzuweisen und auf ein Ende des Laissez-faire zu dringen. Schon vor über einem Jahr ist der Kreisverwaltung auf sein Betreiben hin ein Information des LBEG und ein Gutachten zur Kenntnis gekommen, nach dem zum Beispiel immer noch unzulässige Kunststoffleitungen für Lagerstättenwasser im Einsatz sind. „Wir werden zur Kreistagssitzung in Bremervörde die Besucher mit Kasperle-Mützen erwarten, um auf die Situation beim Fracking aufmerksam zu machen“, kündigt Damberg an.

Sitzung des Rotenburger Kreistages
10. Juli 2014, ab 9:00 Uhr
Bremervörde, Bremervörde, Kreishaus, großer Sitzungssaal

Zum Foto:
Die Bohrung Bötersen Z10(1) ist eine von Hunderten im Landkreis Rotenburg und liegt nördlich von Unterstedt, zwischen der Verdener Landstraße und dem Kleinen Bullensee. Sie stammt aus dem Jahr 1900 und soll der Ölförderung gedient haben.
Die Bohrung Bötersen Z10(2) wurde von 20.01. bis 08.06.2008 für RWE Dea niedergebracht. Sie hat eine Endteufe („Gesamtlänge“) von 5090 Metern, davon knapp 1000 Meter in südwestlicher horizontaler Ablenkung. Am 1. November 2008 ist die Bohrung lt. LBEG-Frac-Liste zweimal gefrackt worden. Das LBEG meldete die Bohrung 2009 als „gasfündig“. Im März 2014 ging die RWE Dea und damit auch diese Bohrung in das Konsortium LetterOne des russischen Oligarchen German Khan über.

CEP frackt Saal, beendet 3-jähriges Fracking-Moratorium in Deutschland

16. Juni 2014: In Saal wird gefrackt, trotz breiten Protests
16. Juni 2014: In Saal wird gefrackt, trotz breiten Protests
Ab 16. Juni passierte, was Umwelt- und Klimaschützer, Eltern, Großeltern, Kinder nicht mehr abwenden konnten: Die Bohrung Barth 11, unweit des Örtchens Saal in Vorpommern, ist gefrackt worden. Oder „hydraulisch stimuliert“ worden. Oder, ganz neu, einer „Kluftoptimierung“ unterzogen worden. Alle Worte beschreiben die selbe Tatsache: Mit zehn Einzelfracks auf rund 1000 Metern Länge und Risse von 50 Metern Länge sind hier mal eben rund 8 Mio. Kubikmeter im Untergrund zerschossen worden. Welche Folgen das kurz-, mittel- und langfristig haben wird, kann keine Wissenschaft abschließend sagen.

Die Bürgerinitiative Erdöl Barth hatte zu diesem traurigen wie empörenden Anlass zu einer Menschenkette aufgerufen. Ein guter Bericht ist hier bei lubminiXda.

Die Tatsache, dass dies der erste Frack in Deutschland seit 3 Jahren war und manche hierin den Startschuss für weitere Frack-Projekte sehen, bei denen die Unternehmen schon seit Monaten mit den Hufen scharren, war großen Medien wie ZDF, NDR und dem Organ der Finanzwelt, dem Wall Street Journal eine Story wert.

Die Aufmerksamkeit, die dem Fracking bei Saal gebührt und die es endlich so langsam hat, ist hart erkämpft worden. Der Pressearbeit, den noch andauernden Befragungen des Unternehmens CEP und des Bergamtes, vor allem aber den wiederholten, öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie zuletzt der Demonstration am 24. Mai ist es zu verdanken, dass der Frevel an der Erde, wie er in Saal gerade passiert, nicht länger ignoriert werden kann.

Warum Fracking Frevel ist und warum es nicht gestattet werden darf, verdeutlichen z. B. die Redebeiträge der erwähnten Demo, die von Mitgliedern des medienpädagogischen Zentrums Hamburg e. V. filmisch dokumentiert worden sind. Dieses Video zeigt die Demonstration am 24.5.2014 in Saal.

Weitere Info zu dem Umweltfrevel in Saal ist hier auf der Seite.