Radioaktiv verstrahlte Rohre aus der Erdgasproduktion zw. Gross Wieblitz und Tylsen (Lk. Altmarkkreis Salzwedel)

Es blubbert und brodelt im Gasfördergebiet der Altmark

In der Altmark ist es erneut zu einem Vorfall gekommen, bei dem toxische Stoffe aus der Gasproduktion in die Umwelt gelangt sind. Das und der laxe Umgang der Verantwortlichen damit bringen das Fass der Umwelt-Sauereien in der Altmark zum Überlaufen. »Engie vertuscht Austritt giftiger Stoffe«, wirft die Bürgerinitiative »Saubere Umwelt und Energie Altmark« dem französischen Ölkonzern vor und fordert den Entzug der Betriebserlaubnis.

Berichten von Anwohnern zufolge sei vor ca. zweieinhalb Monaten direkt nördlich von Pretzier, wenige Meter hinter dem Bahnübergang und direkt neben der Strasse nach Riebau, »etwas aus der Erde heraus geblubbert«. Anschließend seien Bagger und Lkw angerückt. Spüllanzen seien eingesetzt worden, um Wasser abzupumpen. Außerdem sei eine größere Menge Boden ausgekoffert und abgefahren worden, wie die Bürgerinitiative gestern berichtete.

Weitere Nachforschungen der Bürgerinitiative hätten ergeben, dass es sich um eine Leckage einer Roh- bzw. Nassgasleitung handelte. Das altmärkische Roh-Erdgas und das örtliche Lagerstättenwasser enthalten üblicherweise sehr giftige Stoffe – außer Schwermetallen wie Quecksilber, Blei und Lithium auch diverse Kohlenwasserstoffe, weitere wassergefährdende Stoffe und Luftschadstoffe sowie radioaktive Stoffe, unter anderem Radium226, Isotope der Uran238-Zerfallsreihe, der Thorium232-Zerfallsreihe und Radon222. »Wir gehen davon, dass all diese Stoffe, von denen mehrere krebserzeugend sind, in den Boden, das Grundwasser und in die Luft gelangt sind«, erklärt der Wasserwirtschaftsingenieur Bernd Ebeling.

Der Erdgas-Konzern Engie hätte den umwelt- und gesundheitsgefährlichen Austritt aus der Nassgasleitung trotz gesetzlicher Verpflichtung nicht den Behörden gemeldet, zumindest der Altmarkkreis Salzwedel sei nicht informiert worden, so die Bürgerinitiative weiter. Auch seien die Anwohner in Pretzier nicht gewarnt worden. Deren Wohnhäuser rücken bis zu ca. 120 Meter an die Schadensstelle heran.

Nicht der erste Vorfall, seit Engie die Erdgasproduktion in der Altmark übernommen hat

1994 hat Engie, damals noch Gas de France Suez genannt, im Rahmen der Abwicklung der DDR die Ausbeutung des altmärkischen Gasfeldes übernommen. Aber erst in jüngerer Zeit haben Anwohner und Mitglieder der Bürgerinitiative begonnen, die Tätigkeiten von Engie intensiver zu verfolgen.

Und es kommen immer mehr Umweltskandale und Schlampereien dieses Unternehmens ans Licht: Aus der Sondermüllkippe Brüchau sickern seit Jahren radioaktive, schwermetallbelastete Abwässer ins Grundwasser, ein Ende ist noch nicht in Sicht. Bei Siedentramm sowie zwischen Groß Wieblitz und Tylsen lagerten radioaktiv strahlende Rohre ungesichert vor spielenden Kindern und Metalldieben und die Erdgasfördersonde Salzwedel 112 zwischen Seebenau und Luckau wurde ohne vorschriftsmäßige Einzäunung wieder in Betrieb genommen, wie Mitglieder der Bürgerinitiative beobachtet haben.

Umweltverschmutzung mit amtlicher Erlaubnis?

In diesen Bohrungen wurden über 200 Tonnen radioaktiver Abfälle aus der Gasindustrie verklappt. (Quelle: Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung Sachsen-Anhalt, 3.11.16)
In diesen Bohrungen wurden über 200 Tonnen radioaktiver Abfälle aus der Gasindustrie verklappt. (Quelle: Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung Sachsen-Anhalt, 3.11.16)
In 12 aufgelassenen Erdgasbohrungen im Feld Altmark hat Engie im Zeitraum von 1997 bis 2008 insgesamt 200,2 Tonnen radioaktive Abfälle verklappt, in Tiefen von teilweise nur 700 Metern.
Also wurden auch hier, wie schon im benachbarten Niedersachsen, Tiefbohrungen der Öl- und Gas-Industrie kurzerhand zu Deponien für besonders gefährliche Abfälle umdefiniert, offenbar ohne Beteiligung anderer Umweltbehörden wie zum Beispiel der Wasserbehörde oder der Naturschutzbehörde. All dies geht aus einem Schreiben von Staatssekretär Thomas Wünsch im sachsen-anhaltinischen Wirtschaftsministerium vom 3. November 2016 hervor.

Das Ministerium, das als oberste Bergbehörde in Sachsen-Anhalt agiert, hält diese »Entsorgung« strahlender Abfälle im Untergrund offenbar für unbedenklich. So schreibt Staatssekretär Wünsch: »Die Verbringung der [radioaktiven] Rückstände [aus der Reinigungsanlage Steinitz] erfolgte im Einvernehmen bzw. in Abstimmung mit dem für die strahlenschutzrechtliche Überwachung zuständigen Referat des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft und Energie im Betriebsplanverfahren unter Berücksichtigung der Regelungen der Verordnung zur Gewährleistung von Atomsicherheit und Strahlenschutz (VOAS) bzw. der §§ 97 ff i.V.m. Anlage XII, Teil A, der Strahlenschutzverordnung (StlSchV).«

Die zuständigen Behörden zu ordentlichem Handeln zwingen

»Engie stellt ihre wirtschaftlichen Interessen über Gesundheits- und Umweltschutz«, kritisiert Ebeling. BI-Sprecher Dr. Christfried Lenz ergänzt: »Dieses Verhalten von Engie ist verantwortungslos und inaktzeptabel. Die Bürgerinitiative Saubere Umwelt und Energie Altmark fordert das Landesamt für Geologie und Bergwesen (LAGB) des Landes-Sachsen-Anhalt auf, Engie die Betriebserlaubnis für die altmärkischen Erdgasfelder zu entziehen«.

Gemeinsam mit Ebeling ruft er die Bevölkerung zu Wachsamkeit auf. Bei auffälligen Aktivitäten des Gasförderunternehmens Engie bittet er die Anwohner, den Landkreis (Tel. 03901/840-0), die Bürgerinitiative (kein-co2-endlager-altmark.lenz[rollmops]gmx.de) oder die Polizei zu informieren.

Ein aktueller Bericht des MDR zur Leitungsleckage von Pretzier wird heute abend um 19 Uhr im Format »Sachsen-Anhalt heute« ausgestrahlt.
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Foto oben: Radioaktiv strahlende Rohre aus der Erdgasproduktion zwischen Gross Wieblitz und Tylsen (Lk. Altmarkkreis Salzwedel)

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