Ein Feldlabor zum Austesten von Frac-Rezepturen.

Illegale Frac-Chemikalien: Genehmigungsbehörden versagen bei Kontrolle

Fragliche chemikalienrechtliche Zulässigkeit interessiert offenbar nicht

fracked paragraphsOb Chemikalien, die beim Fracking in Niedersachsen verwendet wurden, überhaupt dafür eingesetzt werden durften, hat die zuständige Genehmigungsbehörde LBEG nicht überprüft. Dieser schwere Verdacht bestand schon lange. Jetzt hat ihn das niedersächsische Wirtschaftsministerium – Fachaufsicht des LBEG – bestätigt.

Anscheinend konnten die Frac-Unternehmen ihre Chemie-Cocktails mischen, wie es ihnen passte, weil die Behörde ihren gesetzlichen Kontrollauftrag nicht ernst und somit negative Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen des Fracking in Kauf nahm. In einem Schreiben vom 15.09.2015 gab Thomas Müller, Mitarbeiter des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums, zu, dass bei der Zulassung von Frac-Maßnahmen durch das LBEG »in den Betriebsplanverfahren für die eingesetzten Chemikalien keine Zulassungs- oder Prüfverfahren durchgeführt« wurden und dass eine »explizite Überprüfung der REACH Registrierung für die eingesetzten Stoffe hat bei diesen Betriebsplanzulassungen (…) nicht stattgefunden« hat. Müller erklärte weiter, dass es »Ebenfalls (…) bei diesen Betriebsplanverfahren kein Prüfkriterium [war], ob die Pflichten gemäß Art. 37 Abs. 4 der REACH-Verordnung für nachgeschaltete Anwender einschlägig waren, und falls ja, in welcher Form die Anwender ihnen nachgekommen sind. Das LBEG hat mir mitgeteilt, dass die Stoffsicherheitsberichte (…) keine systematischen Bestandteile der Betriebspläne waren.«

Dieses ministerielle Eingeständnis einer Missachtung sowohl bergrechtlicher als auch chemikaliengesetzlicher Vorschriften wiegt schwer – nicht nur wegen schon geschehener, eventuell illegaler Fracs in der Vergangenheit, bei denen nachweislich fürs Fracking nicht zugelassene, teilweise sehr giftige Stoffe in den niedersächsischen Untergrund eingebracht wurden. Die Genehmigungspraxis, die sich hier auch nach einschlägigen Warnungen aus Brüssel offenbart, gibt darüber hinaus auch noch mehr Grund zur Besorgnis angesichts des geplanten »Fracking-Ermächtigungsgesetzes«, denn das weist auch an dieser Stelle einen blinden Fleck auf.

Behörden kontrollierten Industrieangaben nicht
Seit Jahren ist bekannt, dass das LBEG keine umfassende Kenntnis darüber hat, welche chemischen Stoffe es zum Fracking in Niedersachsen schon zugelassen hat. Bei der Zulassung der Betriebspläne, mit denen die Unternehmen ihre Frac-Maßnahmen zu beschreiben haben, hätte das LBEG unter anderem zu überprüfen gehabt, welche Chemikalien genau eingesetzt werden sollen. Es muss aber davon ausgegangen werden, dass man in den Amtsstuben den »Angaben« der Unternehmen blind vertraut und sich nicht bemüßigt gefühlt hat, diese zu überprüfen. Sonst hätte auffallen müssen, dass einige der angegebenen Chemikalien nicht identifizierbar sind und viele gar nicht zulässig, wie z. B. nicht zugelassene Biozide.

Keine Änderung der Praxis nach Inkrafttreten strengerer Chemikalien-Regularien
Frac_Liste_Nds_nach_20101130Rund 360 Frac-Maßnahmen hat es in Norddeutschland seit 1955 gegeben, davon laut LBEG 327 Fracs in Niedersachsen. Von diesen haben 12 nach dem 30. November 2010 stattgefunden – jenem Tag, ab dem alle krebserregenden, mutagenen, reproduktionstoxischen (CMR) und stark wassergefährdenden Stoffe spätestens eine Zulassung nach der europäischen REACH-Verordnung haben mussten, um überhaupt weiter auf dem Markt zu bleiben. Eine solche Zulassung bestand entweder in einer Registrierung für das Expositionsszenarium »Hydraulisches Frakturieren« oder zumindest einem entsprechenden Stoffsicherheitsbericht, der bei der europäischen Chemikalienbehörde ECHA in Helsinki eingereicht werden musste.

Von allen bis auf eine dieser 12 Frac-Maßnahmen, die nach dem 30.11.2010 im Hoheitsgebiet des LBEG stattfanden, liegen die »Rezepturen« der Frac-Fluide vor. Von den insgesamt 57 darin aufgelisteten Stoffen sind 12 (~ 21 %) nicht identifizierbar. 1 Stoff bedarf als Naturstoff keiner Registrierung. 6 Stoffe sind als krebserzeugend und 2 weitere als vermutlich krebserzeugend eingestuft. 2 Stoffe gelten als mutagen und 2 weitere als vermutlich mutagen. 6 Stoffe können reproduktionstoxisch wirken, einer davon ist dafür bekannt, dass er das Kind im Mutterleib schädigen kann. 3 Stoffe sind sehr giftig für Wasserorganismen (akut wassergefährdend), 2 von ihnen können darüber hinaus in Gewässern auch längerfristig schädlich wirken (chronisch wassergefährdend).

Keiner der eingesetzten Stoffe ist für das Expositionsszenarium »Hydraulisches Frakturieren« zugelassen. Die meisten der eingesetzten Stoffen sind nicht einmal allgemein für die Anwendung im Bergbau registriert.

Vertreter der EU-Kommission warnten frühzeitig
Mit dem Stichtag 30.11.2010 mussten alle CMR und für Wasserorganismen sehr giftigen Stoffe gemäß REACH-Verordnung registriert und für ihre Einsatzgebiete zugelassen sein. Kurz vor diesem Datum, am 23.09.2010, fand auf Einladung der EU-Kommission eine REACH-Konferenz in Brüssel statt. Unter die Lupe genommen wurden auch Stoffe, die beim Fracking eingesetzt wurden. Keiner der betrachteten Stoffe war gemäß REACH-VO für diesen Einsatz registriert, eine Tatsache, die »Frac-Unternehmen ins Stolpern bringen könnte«, wie Kommissionsmitglied Karl Falkenberg angemerkt haben soll. Joe Hennon, Sprecher der EU-Kommission für Umweltangelegenheiten, erklärte zu den fehlenden Registrierungen bzw. Zulassungen laut Bloomberg: »Unternehmen, die Frac-Maßnahmen durchführen wollen, ist es nicht erlaubt, einen Stoff zu verwenden, der die REACH-Anforderungen nicht erfüllt«, solange sie der ECHA die Anwendung nicht gemeldet und die relevanten Informationen zu dieser Anwendung, einschließlich eines Stoffsicherheitsberichts geliefert hätten.

2013 kamen die unzulässigen Frac-Chemikalien in Hannover auf den Tisch. Bei einem Fachgespräch hörten Vertreter der Industrie, der Behörden und der Zivilgesellschaft, welche chemikalienrechtlichen Anforderungen an Frac-Chemikalien bestehen. Der Referent, Dr. Michael Braedt aus dem niedersächsischen Umweltministerium, machte unter anderem den anwesenden Vertretern des LBEG klar: »Die bisher in den unterschiedlichen Fracking-Projekten eingesetzten Chemikalien erfüllen diese europäischen Vorgaben nicht.«

Besserung in Sicht? Eher nicht.
Den Unternehmen muss eine gewisse Sensibilität gegenüber der öffentlichen Beunruhigung angesichts der eingesetzten Chemikalien beim Fracking bescheinigt werden. Wintershall macht Reklame mit dem Naturprodukt Schizophyllan, das zukünftig naturverbundenes Fracking ermöglichen soll. ExxonMobil spricht gern von »nur noch 2 Chemikalien, und die sind so harmlos, dass man sie getrost trinken kann«. Dass es dabei nicht um die Frac-Chemikalien im Allgemeinen, sondern nur um die fürs Fracking in Schiefergestein geht, wird oft nicht dazugesagt. Beim Fracking in Sandstein, das wesentlich höhere Ansprüche an die Frac-Fluide stellt und daher mehr und gefährlichere Additive erfordert, bemüht sich ExxonMobil zwar auch, die Giftigkeit der Gesamtmischung zu minimieren, dennoch sind hier wieder Stoffe in Planung, die alles andere als harmlos und vor allem nach Chemikalienrecht weiterhin nicht zulässig sind.

Für die Frac-Maßnahme in der Bohrung Bötersen Z11 vorgesehenes Frac-Fluid.
Für die Frac-Maßnahme in der Bohrung Bötersen Z11 vorgesehenes Frac-Fluid.
Am 1. April 2014 stellte Dr. Harald Kassner, EMPG, das geplante Frac-Fluid für die Maßnahme in der Bohrung Bötersen Z11 – Lagerstätte: dichter Sandstein (tight) – vor. Auf Seite 9 seiner Präsentation legt er die Rezeptur offen. Das darin noch verzeichnete, sehr giftige Natriumbromat soll durch Diammoniumperoxodisulfat ersetzt werden, wie EMPG-Sprecher Klaus Torp auf Nachfrage sagte. Doch auch nach dieser »Entschärfung« ist die Mixtur nicht harmlos. Wiederum sind Stoffe enthalten, deren Identität unklar ist, und Stoffe, die nicht die Zulassungsvoraussetzungen gemäß REACH-Verordnung erfüllen. Deren Einsatz wäre beim Fracking nach den Worten der EU-Kommission »technisch illegal«.

Blinder Fleck
Die chemikalienrechtlichen Erfordernisse des Fracking sind offenbar auch der Bundesregierung unbequem. Im Zuge der Beratungen für das geplante Fracking-Rechtsänderungspaket, hier: das Wasserhaushaltsgesetz, versucht die Bundesregierung offenbar ganz gezielt zu verhindern, dass zukünftig mehr Transparenz und damit die öffentlich kontrollierbare Einhaltung des Chemikalienrechts Einzug hält.

Konkret hat die Bundesregierung es abgelehnt, den § 13b Absatz 5 WHG entsprechend eines Vorschlages des Bundesrats (s. Anhang) so zu formulieren, dass die geforderte Transparenz eher gewährleistet würde und Industrie im Konzert mit Genehmigungsbehörden gezwungen würden, sich an die gesetzlichen Vorgaben zu halten. Diesen Vorschlag hat die Bundesregierung abgelehnt. Sie muss sich deshalb vorwerfen lassen, nicht nur vor der zunehmenden Erdbeben-Gefahr und dem sehr, sehr ernstzunehmenden Verdacht eines krebsauslösenden Potentials der »heimischen« Gas-Förderung die Augen zu verschließen, sondern auch vor der skandalösen Vernachlässigung chemikalienrechtlicher Vorschriften durch die Bergbehörden – jedenfalls die in Niedersachsen.

Danksagung: Danke an C.A., A.G., G.G., R.S., J.T. und L.W. für fachliche Unterstützung und beständige Inspiration.

Anhang: Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) im Zuge des Fracking-Rechtsänderungspaketes – Stoffregister

§ 13b Absatz 5 WHG

  • Formulierung der Bundesregierung:
    (5) Durch Rechtsverordnung nach § 23 Absatz 1 Nummer 11 kann die Errichtung und Führung eines für jedermann frei und unentgeltlich zugänglichen internetgestützten Registers für Stoffe geregelt werden, die bei Gewässerbenutzungen nach § 9 Absatz 2 Nummer 3 und 4 verwendet oder abgelagert werden.
  • Vorschlag des Bundesrates:
    (5) Beim Umweltbundesamt wird ein für jedermann frei und unentgeltlich zugängliches internetgestütztes Register für Stoffe, die bei Gewässerbenutzungen nach § 9 Absatz 2 Nummer 3 und 4 verwendet oder abgelagert werden,
    eingerichtet.
    Das Stoffregister enthält mindestens folgende Angaben:

    1. Name des Gasförderunternehmens und des Frac-Fluidherstellers,
    2. Informationen zur Trägerflüssigkeit und zu den eingesetzten Stützmitteln, in Menge und prozentualem Anteil; Sammelbezeichnungen sind zu vermeiden,
    3. genaue Bezeichnung jeder einzelnen eingesetzten Chemikalie nach Stoffname und CAS-Nummer; Mischungen und Vorprodukte sind detailliert aufzuschlüsseln,
    4. Menge und Anteil der Chemikalien am Frac-Fluid,
    5. Gefährlichkeitsmerkmale nach der CLP-Verordnung der EU sowie der Wassergefährdungsklasse der jeweiligen Chemikalie,
    6. Angaben zum Ausbreitungsverhalten der Chemikalie sowie zu human- und ökotoxikologischen Auswirkungen,
    7. Stoffzustand im Zeitpunkt der Einbringung,
    8. Ort der Frac-Maßnahme (Bohrloch) und Darstellung der verschiedenen Fracking-Phasen sowie
    9. detaillierte Angaben zum Flowback

    Die Mengenangaben nach Satz 2 Nummer 2 und 4 sind zum Zeitpunkt der Antragstellung als Maximalmenge und nach Durchführung der Maßnahme als Einsatzmenge anzugeben. Die Unternehmen sind verpflichtet, mit der erstmaligen Antragstellung oder mit Verlängerungsanträgen die Angaben nach Satz 2 Nummer 1 bis 9 auch für die Vergangenheit dem Umweltbundesamt zu übermitteln. Die Veröffentlichung von Angaben gemäß § 9 Absatz 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 94), das zuletzt durch Artikel 10 des Gesetzes vom 25. Juli 2013 (BGBl. I S. 2749) geändert worden ist, bleibt hiervon unberührt. Durch Rechtsverordnung nach § 23 Absatz 1 Nummer 11 können weitere Einzelheiten zum Stoffregister geregelt werden.

Der Vorschlag wurde von der Bundesregierung abgelehnt.

Auch interessant:
Niedersächsischer Wirtschaftsminister kritisiert eigene Landesbehörde – Bergbauamt reagiert verspätet auf Exxon-Giftunfall
NDR, Panorama, 3.3.11

2 Gedanken zu „Illegale Frac-Chemikalien: Genehmigungsbehörden versagen bei Kontrolle“

  1. Liebe Carin,
    ein hervorragender Artikel.
    Ergänzend sei noch ausgeführt, dassUnregelmäßigkeiten beim Einsatz von Frac-Chemikalien durchaus Straftatbestände sein können, wo der Staatsanwalt aktiv werden muss. Kannst Du dieser Thematik noch mal nachgehen?
    Liebe Grüße
    Lenja

  2. Liebe Carin und liebe alle Mitstreiter aus dem hohen Norden, danke dass ihr das erneute Behördenversagen oeffentlich macht. Es ist ein Skandal, mit welcher Sorg- und Ahnungslosigkeit seitens der Bergämter agiert wird, während ihr oberster Chef sich nicht zu schade ist, zu behaupten, Fracking wuerde sicher und beherrschbar seit 50 Jahren in Deutschland praktiziert.

    Macht weiter so in eurer wertvollen Arbeit. Viele Gruesse aus dem Ländle von Antje

Kommentare sind geschlossen.