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Gasfackeln in der Kritik: Stinkend, laut und angeblich unvermeidlich

Seit Erdgas gefördert wird, wird auch abgefackelt: Gasfackel bei der Bohrung „Rehden 5“, Mitte der 50er Jahre. Bildquelle: Wintershall
Seit Erdgas gefördert wird, wird auch abgefackelt: Gasfackel bei der Bohrung „Rehden 5“, Mitte der 50er Jahre. Bildquelle: Wintershall
Gestern hat ExxonMobil Wartungsarbeiten an seiner Erdgasbohrung Söhlingen Z14 angekündigt. Die Meldung kommt als der übliche Textbaustein, in dem lediglich der Name der betreffenden Bohrung ausgetauscht ist. Es ist das 27. Mal allein in diesem Jahr, dass ExxonMobil eine derartige Meldung ausgibt. Stets sind dieselben Sätze zu lesen: Aus technischen Gründen muss das anfallende Gas dabei über die Fackel geleitet und verbrannt werden. und erhöhte Flammenbildung, bei Dunkelheit mit hellem und weit sichtbarem Feuerschein und In dem näheren Umfeld kann es zu einem erhöhten Geräuschpegel kommen. und evtl. auch eine leichte Geruchsbelästigung möglichwir bitten die Anwohner um Verständnis.

 

Routinierte, weltweit alltägliche Praxis, seit Erdgas gefördert wird; eine Randerscheinung der Öl- und Gasproduktion, scheinbar notwendig, weil verbranntes Methan die Atmosphäre weniger belastet als unverbranntes. Und eine Praxis, die kaum je offen kritisiert wurde, bis am 25. März etwas passierte. Anwohner hatten einen „chemischen“ Geruch bemerkt und fanden an der Förderstelle Söhlingen Z5 eine brennende Fackel. Als sie sich dort in der Nähe aufhielten und filmten, sei eine Art Säureregen auf sie niedergegangen: Atemnot, Husten, Übelkeit, Hautreizungen sind die Symptome, die sie beschrieben. Die so Verletzten gingen an die Presse und erstatteten Anzeige. Der Fall fand internationalen Widerhall, die Staatsanwaltschaft ermittelt und die Kritik am Abfackeln wächst.
 
„Wir bitten die Anwohner um Verständnis“

Einem platzt der Kragen, als ExxonMobil gestern erneut diese Routinemeldung herausgab. Ingo Engelmann vom Sprecherrat der Initiative „Kein Fracking in der Heide“ macht seinem Ärger Luft und schreibt an das Unternehmen:

Glauben Sie im Ernst, es würde immer so weitergehen mit dem devot-verlogenen Spruch “Wir bitten die Bevölkerung um Verständnis” – für eine technisch unnötige, einzig kostensparende und umweltverschmutzende Technologie von vorgestern? Wir haben kein Verständnis dafür, dass nicht einmal die mindesten Vorkehrungen getroffen werden, das Methan aufzufangen und in einem integrierten System zu entsorgen oder sonstwie zu nutzen. Wir werden nicht unwidersprochen hinnehmen, dass Exxon und andere immer nur das Nötigste unternehmen, was von Öffentlichkeit und Legislative ihnen abverlangt wird, um die Umwelt nicht noch mehr zu schädigen, als sie es ohnehin tun. Die Zeiten ändern sich – wäre schön, wenn auch Exxon das erkennen würde.

„Erdgas wird grundsätzlich nur dann abgefackelt, wenn dies technisch erforderlich ist“

Das sieht der Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung e. V., seines Zeichens der Zusammenschluss der Öl- und Gas produzierenden Unternehmen in Deutschland, ganz anders. Bereits im Januar d. J. gefragt, warum denn das Erdgas, wie stets behauptet, abgefackelt werden muss und ob es keine andere, umweltfreundlichere Art des Umgangs damit gebe, antwortete Pressesprecherin Miriam Ahrens:

Flaring kommt in der E&P-Industrie nur noch in Ausnahmefällen zum Einsatz, etwa im Zuge von Wartungs- und Reparaturarbeiten oder beim Testen einer Bohrung.

Erdgas wird grundsätzlich nur dann abgefackelt, wenn dies technisch erforderlich ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Wartungsarbeiten an einer Produktionsbohrung durchgeführt werden. In diesen Fällen kann das aus der Fördersonde kommende unbehandelte Rohgas i.d.R. aus lokalen Kapazitätsgründen (-> Gastrocknungsanlage) nicht aufbereitet bzw. getrocknet werden. Es wird also Rohgas für einen kurzen Zeitraum abgefackelt.

Ein Sonderfall ist das Abfackeln von Gas bei Testarbeiten nach Erstellung einer Erdgasbohrung. Dabei wird über einen begrenzten Zeitraum Gas abgefackelt, um die wesentlichen Kenndaten einer Erdgaslagerstätte (z.B. Größe, Zuflussbedingungen) und damit letztlich die Produktionsrate einer Bohrung zu ermitteln. Dieser Schritt ist notwendig, um die Wirtschaftlichkeit der Entwicklung eines Erdgasfeldes bestimmen zu können.

Im Übrigen haben die Erdgasproduzenten ein natürliches Interesse daran, die verkaufsfähigen (behandelten) Gasmengen zu maximieren bzw. deshalb die Abfackelmengen auf ein Minimum zu reduzieren.

Offenbar sehen der WEG bzw. seine Mitgliedsunternehmen keinen anderen, für sie und ihre share holders akzeptablen Weg als dieses aufwändiger zu handhabende Gas zu verbrennen – nach den Worten von Ahrens auch das rohe Gas, so, wie es aus der Erde kommt, mit all den Zutaten, die der Untergrund bereit hält. Dass alles andere wie zum Beispiel eine Vorrichtung, das Gas aufzufangen und zu verwerten, oder auch nur eine Vorrichtung, das Rohgas vor dem Abfackeln soweit zu reinigen, dass als Verbrennungsprodukt „nur“ noch CO2 und Wasser und keine Schadstoffe in die Luft geblasen werden, den Profit schmälern würde – pardon: unwirtschaftlich wäre, ist eine Spekulation, die sich mangels einer aussagekräftigeren Auskunft aufdrängt.

Dass der WEG sich ansonsten als besorgter Partner der Verkehrswacht und des Landes Niedersachsen geriert und die Verkehrssicherheits-Kampagne „Tippen tötet“ unterstützt, erinnert nur an Exxons pinkfarbene Wildunfall-Dreibeine und vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass sich der WEG und seine Mitgliedsunternehmen beim Abfackeln ganz und gar nicht als gute Nachbarn aufführen.

1 Promille geht nicht in die Pipeline

Nach Angaben des WEG wurden 2012 gut 11 Milliarden Kubikmeter (m³) Erdgas in Deutschland gefördert (alle Angaben in diesem Absatz: WEG-Jahresbericht 2012 [PDF]). Ein Tausendstel der Gesamtproduktion haben die Erdgas fördernden Unternehmen angegeben, durch die Fackeln gejagt und verbrannt zu haben. Das klingt nach Wenig, beträgt aber ganze 11 Mio. m³.

Im Erdgasfeld „Söhlingen Pool 2006“ sind lt WEG Jahr 2012 knapp 630 Mio. m³ gefördert worden. Die 1-Promille-Formel angewandt bedeutet das 630.000 m³ abgefackeltes Erdgas. Das Feld Söhlingen gehört zu den weltweit am höchsten quecksilberhaltigen: 700 bis 4400 µg Quecksilber enthält hier 1 m³ Rohgas. Angenommen, die komplette Menge Erdgas im Jahr 2012 ist in rohem Zustand abgefackelt worden, dann beträgt der Quecksilbereintrag in die Umwelt bis zu 2,77 Kilogramm. Die Bodenproben aus dem Areal, die jetzt analysiert worden sind, passen dazu.

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Fackel-Arie bei ExxonMobil:

Allein in diesem Jahr hat allein EMPG bereits an 27 Bohrungen im Zuge von „Optimierungen“ Erdgas in nicht näher bezeichneter Menge abgefackelt:

ExxonMobil Production Deutschland GmbH beginnt in diesen Tagen an der Erdgasbohrung XYZ mit der Vorbereitung und Durchführung von Arbeiten zur Optimierung der Förderung. Aus technischen Gründen muss das anfallende Gas dabei über die Fackel geleitet und verbrannt werden

  1. 03. Januar 2014: Brinkolz Z02
  2. 06. Januar 2014: Walsrode West Z1a
  3. 20. Januar 2014: Walsrode Z5a
  4. 21. Januar 2014: Söhlingen Z16
  5. 27. Januar 2014: Klosterseelte Z6
  6. 28. Januar 2014: Dötlingen S3
  7. 31. Januar 2014: Visbek Z9b
  8. 11. Februar 2014: Mulmshorn Z2
  9. 11. Februar 2014: Bötersen Z1
  10. 24. Februar 2014: Walsrode Z4
  11. 24. Februar 2014: Bötersen Z3
  12. 24. Februar 2014: Mulmshorn Z1
  13. 17. März 2014: Mulmshorn Z5
  14. 17. März 2014: Mulmshorn Z4
  15. 21. März 2014: Söhlingen Z3
  16. 21. März 2014: Söhlingen Ost Z1
  17. 28. März 2014: Söhlingen Z5
  18. 04. April 2014: Hemmelte Z4
  19. 04. April 2014: Mulmshorn Z6
  20. 15. April 2014: Visbek Z9b
  21. 17. April 2014: Buchhorst Z20
  22. 29. April 2014: Klosterseelte Z4 (aktuell zeigt diese Meldung keine Flaring-Ankündigung (mehr))
  23. 05. Mai 2014: Bahrenburg Z8
  24. 05. Mai 2014: Sagermeer Z4
  25. 14. Mai 2014: Böstlingen Z2a
  26. 21. Mai 2014: Goldenstedt Z25
  27. 21. Mai 2014: Söhlingen Z14

Weitere Info z. B. hier:
Dietrich Wiedemann, 11.04.2014: Abfackeln in Söhlingen und die Folgen

Quecksilberfunde im Oberboden nahe von Söhlinger Erdgasbohrungen

Workover an der Förderbohrung Söhlingen Z1
Workover an der Förderbohrung Söhlingen Z1 (Foto: Battenbrook/wikimedia
Bodenproben im Erdgasfeld Söhlingen zeigen stellenweise starke Belastung mit Quecksilber

Bodenanalysen im Gasfeld Söhlingen, die der Rotenburger NABU durchgeführt hat, haben aktuell gezeigt, dass der Boden stellenweise weit über dem Grenzwert der Harmlosigkeit mit Quecksilber belastet ist. „In der Nähe der Plätze Z6 und Ost Z1 seien die Naturschützer mit ihren wenigen Stichproben eindeutig fündig geworden: Mit 4,2 und 6,7 Milligramm Quecksilber je Kilogramm Boden lägen die gemessenen Werte etwa um die Faktoren 40 und 70 über dem Gehalt unbelasteten Bodens aus der Region.“, berichtet die Rotenburger Kreiszeitung.

Jetzt sind die zuständigen Behörden am Zug: Das Umweltministerium sei informiert, so die Zeitung, ebenso die Unteren Wasserbehörden im Heidekreis und in Rotenburg/Wümme. Der Sprecher der UWB im Heidekreis hat lt. Soltauer Nachrichten [PDF] weitere Untersuchungen angekündigt, in Rotenburg hält sich der Leiter der UWB, Gert Engelhardt, noch bedeckt. Auch ExxonMobil, eins der hier fördernden Unternehmen, möchte die aktuellen Quecksilberfunde laut Zeitung nicht kommentieren.

Das Erdgasfeld Söhlingen gehört, zusammen mit dem benachbarten Erdgasfeld Hemslingen, zu den weltweit am stärksten quecksilberhaltigen Lagerstätten. Einige Erdgaslagerstätten im norddeutschen Becken, darunter Hemslingen/Söhlingen, weisen mit 700–4400 µg/m³ Rohgas (Zettlitzer 1997) die weltweit höchsten Quecksilbergehalte auf.

In der Vergangenheit hatte es bereits Quecksilberfunde in der freien Natur im Umfeld von Förderanlagen gegeben (siehe hier und hier und beim damaligen Umweltminister in spe).

Anwohner fürchten schon lange, dass durch das Abfackeln von Rohgas Quecksilber in Oberboden und Gewässer und damit in die Nahrungskette eingetragen wird. Ein Anwohner berichtete:

Von jeder Erdgasbohrstelle [Hemslingen-Söhlingen] führt eine eigene Gasleitung zu der Entquickungsanlage in Bellen. Mittels Durchleitung durch Aktivkohlefilter wird [dort] das Quecksilber aus dem Erdgas entfernt…

Bei allen Bohrstellen wird ein Abfackelvorgang erforderlich, der ca. 2 Wochen andauert. Während dieses Abfackelns wird mit großem Druck, hoher Geräuschentwicklung, sehr hohen Temperaturen und großer Flamme jeweils eine große Menge Erdgas verbrannt, die noch nicht von Quecksilber befreit wurde. — Welche chemischen Vorgänge passieren? — Entstehen dabei Quecksilberoxide oder andere Schadstoffe, die in die Umwelt gelangen?

Wo bleiben diese Schadstoffe beim Abfackeln? — Werden sie gemessen? — Wird der Vorgang überwacht? — Wie groß sind die Mengen verbrannten Gases, ausgestoßenen CO2, zerstäubten Quecksilbers oder -oxids?

In den Bohrwässern, von den Einzelbohrstellen mit 40-Tonnern TLW abgefahren, befindet sich neben den üblichen Schadstoffen aus dem Feld Hemslingen-Söhlingen zusätzlich noch der ungefilterte Anteil Quecksilber. Diese Bohrwässer, nun Lagerstättenwasser genannt, werden nach dem Versiegen der Gasförderung und nach dem dort praktizierten Fracking in Grapenmühlen Z1 und anderen Altbohrungen versenkt.

Sofern es keine andere, von der Erdgasförderung unabhängige Ursache für die Quecksilberkontamination der Böden gibt, die jetzt sowie 2011 im Gasfeld Söhlingen gefunden wurden, zeigen diese Funde ein weiteres Mal, dass Erdgas in seiner Gesamtbilanz bei Weitem nicht so sauber dasteht, wie es Industrie und Politik nicht müde werden zu betonen.

Es liegt allerdings nahe, dass das Quecksilber in den Söhlinger Böden unmittelbar mit der Gasförderung zusammenhängt. Die zunehmende öffentliche Kritik an der Praxis der Öl-/Gasindustrie, der Bergbehörden und der Politik veranlasst Industrie und Politik, auf Abhilfe zu sinnen – um die Rohstoffe weiterhin fördern und zu Geld machen zu können. Parolen wie „Fracking ohne umwelttoxische Chemikalien“ und „obligatorische Umweltverträglichkeitsprüfung“ werden ausgegeben, als könnten diese Maßnahmen die existenten Probleme lösen. Doch auch ein Fracking ohne „umwelttoxische“ Chemikalien kann Probleme des Gasbohrens mit und ohne Fracking nicht aus der Welt schaffen: Giftige Stoffe wie z. B. Quecksilber kommen unvermeidlich mit dem Gas aus der Erde. Umweltverträglichkeitsprüfungen, würden sie all diesen „naturgegebenen“ Problemen Rechnung tragen, müssten diese gefährliche Gasförderung entweder konsequent verbieten oder aber derart hohe Auflagen machen, dass den Managern die Köpfe rauchen würden auf der Suche nach Profit und shareholder value.