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Warum sich die US-Fracking-Firmen wegen der Ukraine die Lippen lecken

Links: Victoria Nuland bringt den Ukrainern Goodies aus dem Land der begrenzten Unmöglichkeiten. Rechts: Schon abgesteckte bzw. angestrebte Claims bekannter Öl-/Gaskonzerne in der Ukraine. (Screenshots aus MONITOR v. 13.03.2014)
Links: Victoria Nuland bringt den Ukrainern Goodies aus dem Land der begrenzten Unmöglichkeiten. Rechts: Schon abgesteckte bzw. angestrebte Claims bekannter Öl-/Gaskonzerne in der Ukraine. (Screenshots aus MONITOR v. 13.03.2014)
Vom Klimawandel bis zur Krim-Krise: Die Erdgasindustrie ist perfekt darin, Krisen für den eigenen Profit auszunutzen – was ich die Schock-Strategie (shock doctrine) nenne.
Ein Beitrag von Naomi Klein in The Guardian, 10. April 2014

Der Weg, um Vladimir Putin zu schlagen, ist, den europäischen Markt mit gefracktem Erdgas aus den USA zu überfluten. So ungefähr will es uns die Industrie weismachen. Im Rahmen der eskalierenden antirussischen Hysterie sind zwei Gesetzentwürfe im US-Kongress vorgelegt worden – einer im Parlament (H.R. 6), einer im Senat (S. 2083) –, die beide darauf ausgerichtet sind, den Export von flüssigem Erdgas (LNG) im Schnellverfahren zuzulassen. Alles im Namen der Hilfe für Europa, sich aus der Abhängigkeit von Putins fossilen Brennstoffen zu befreien, und um die nationale Sicherheit der USA zu verbessern.

Cory Gardner, der republikanische Kongressabgeordnete, der den Gesetzentwurf ins Parlament einbrachte, ist überzeugt: Gegen seinen Entwurf zu opponieren wäre wie das Telefon auflegen, wenn ein Notruf von Freunden oder Verbündeten käme. Das kann sogar stimmen – solange diese Freunde und Verbündeten bei Chevron und Shell arbeiten und der Notfall darin besteht, die Profite hoch zu halten, während die Vorräte von konventionellem Öl und Gas zur Neige gehen.

Damit dieses abgekartete Spiel funktioniert, darf man die Details nicht zu intensiv betrachten. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass viel von dem Gas gar nicht den Weg nach Europa findet – weil das Gesetz erlaubt, dass das Gas auf dem Weltmarkt verkauft wird, an jedes beliebige Land, das der Welthandelsorganisation WTO angehört.

Oder die Tatsache, dass die Industrie uns seit Jahren verkündet, die Amerikaner müssten die Risiken des Fracking für ihr Land, das Wasser und die Luft akzeptieren, um ihrem Land zu helfen, die „Energieunabhängigkeit“ zu erreichen. Und jetzt wurde das Ziel, plötzlich und heimlich, auf „Energiesicherheit“ umgemünzt, was offensichtlich bedeutet, eine zeitweilige Schwemme von gefracktem Gas auf dem Weltmarkt zu verkaufen und dort Energieabhängigkeiten zu schaffen.

Und vor allem ist es wichtig, dass niemand bemerkt, dass die Infrastruktur, die für den Export in diesem Ausmaß erforderlich ist, viele Jahre für Zulassungen und Aufbau benötigen würde – ein einziges LNG-Terminal kann 7 Milliarden US-Dollar kosten, ist abhängig von einem riesigen Netz von Pipelines und Kompressorstationen und braucht sein eigenes Kraftwerk, nur um die Energie zu produzieren, die für die Verflüssigung des Erdgases durch Unterkühlung nötig ist. Bis diese gigantischen Industrieprojekte zum Laufen kommen, sind Deutschland und Russland längst beste Freunde geworden. Aber bis dahin wird kaum noch jemand erinnern, dass es die Krim-Krise war, derer sich die Gasindustrie als Ausrede bedient hat, um ihre lange gehegten Exportträume endlich wahrzumachen, egal, welche Konsequenzen es für die Gemeinden hat, wenn sie gefrackt werden, oder ob der Planet gekocht wird.

Ich nenne diesen Dreh, die Krise für den eigenen Gewinn auszubeuten, die Schock-Strategie (shock doctrine), und sie zeigt keine Anzeichen der Schwäche. Wir wissen alle, wie die Schock-Strategie funktioniert: In Krisenzeiten, egal, ob real oder konstruiert, sind unsere Eliten in der Lage, unter dem Deckmantel der Notsituation unpopuläre Maßnahmen durchzuziehen, die für die Mehrheit Verschlechterungen bringen. Natürlich gibt es Widerstand – von Klimawissenschaftlern, die vor dem starken Klimaerwärmungspotential von Methan warnen, oder von lokalen Gemeinschaften, die diese Hochrisiko-Exportterminals an ihren geliebten Küsten nicht haben wollen. Aber wer hat Zeit zum Diskutieren? Es ist ein Notfall! Ein Notruf, der da klingelt! Erstmal die Gesetze erlassen, über sie nachdenken kann man später.

Viele Industrien sind gut in solchen Machenschaften, aber keiner ist geschickter, die die Rationalität gefangennehmenden Eigenschaften der Krise für sich zu nutzen als der globale Erdgassektor.
In den letzten vier Jahren hat die Gaslobby die Wirtschaftskrise in Europa dazu genutzt, Ländern wie Griechenland weiszumachen, dass der Weg aus Schulden und Verzweiflung darin besteht, ihr wunderschönes und empfindliches Meer fürs Öl- und Gasbohren zu öffnen. Ähnliche Argumente hat diese Lobby dafür benutzt, um Fracking quer durch Nordamerika und England salonfähig zu machen.

Jetzt ist der Ukraine-Konflikt die Krise des Tages. Sie wird als Rammbock benutzt, um die vernünftigen Regulierungen des Gasexports niederzuschlagen und ein umstrittenes Freihandelsabkommen mit Europa durchzudrücken. Und was für ein Deal: Mehr konzerngetriebene, freihandelsautorisierte, umweltverschmutzende Sparmaßnahmen und mehr Treibhausgase, die die Atmosphäre verschmutzen – und all das als Antwort auf eine Energiekrise, die im Großen und Ganzen künstlich fabriziert ist.
Vor dieser Kulisse lohnt es sich zu erinnern – Ironie aller Ironien – dass die Krise, die die Erdgasindustrie am allerbesten ausschlachtet, der Klimawandel selbst ist.

Macht nichts, dass die einzige Lösung, die die Industrie im Angesicht der Klimakrise zu bieten hat, die dramatische Ausweitung des Fracking ist, was irrsinnige Mengen des Klima destabilisierenden Methans in unsere Atmosphäre entlässt. Methan ist eines der stärksten Klimagase – es hält die Wärme 34-mal stärker zurück als Kohlendioxid, wie die jüngsten Schätzungen des Weltklimarat (IPCC; Intergovernmental Panel on Climate Change) ergeben haben. Und das gilt für eine Periode von 100 Jahren, während der die Potenz des Methans abnimmt.

Viel wichtiger ist, so Robert Howarth von der Cornell-Universität, Biochemiker und einer der weltweit führenden Experten für Methan-Emissionen, den Zeitraum von 15 bis 20 Jahren anzuschauen: Hier hat Methan ein atemberaubendes, 86- bis 100-fach stärkeres klimaerwärmendes Potential als Kohlendioxid. „In diesem Zeitraum riskieren wir, uns selbst in einer sehr raschen Erwärmung gefangen zu setzen“, sagte Howard letzten Mittwoch.

Und denkt daran: Niemand baut eine millionenschwere Infrastruktur auf, der nicht plant, sie mindestens die nächsten 40 Jahre auch zu benutzen. Also, ist das unsere Antwort auf die globale Erwärmung, dass wir ein Netzwerk aus ultra-starken atmosphärischen Öfen bauen? Sind wir wahnsinnig?

Es ist nicht so, dass wir wissen, wieviel Methan tatsächlich beim Bohren und Fracken und von der ganzen daran hängenden Infrastruktur freigesetzt wird. Obwohl die Erdgasindustrie ihr „weniger Kohlendioxidausstoß als Kohle“ ertönen lässt, hat sie ihre Methanleckagen niemals systematisch gemessen. Die wabern über jeder Phase der Gasproduktion, -verarbeitung und -verteilung – von undichten Bohrlöchern und undichten Ventilen an Kondensatoren bis hin zu den brüchigen Pipelines unter den Wohnblocks von Harlem. 1981 kam die Gasindustrie auf die brilliante Idee, Erdgas als Brücke in eine Zukunft der sauberen Energie zu bezeichnen. Das ist 33 Jahre her. Eine lange Brücke. Und das andere Ufer ist noch nicht einmal in Sicht.

Und 1988 – dem Jahr, in dem der Klimaforscher James Hansen den Kongress in einer historischen Darlegung vor dem dringenden Problem der Erderwärmung gewarnt hatte – begann die American Gas Association, ihr Produkt ausdrücklich als Antwort auf den „Treibhauseffekt“ zu bezeichnen. Mit anderen Worten, sie verschwendete keine Zeit und verkaufte sich selbst als die Lösung der globalen Krise, die sie selbst mit verschuldet hat.

Der Gebrauch, den die Industrie von der Krise in der Ukraine macht, um seinen Weltmarkt unter dem Motto „Energiesicherheit“ zu erweitern, muss im Kontext ihres unablässigen Kriseopportunismus gesehen werden. Nur dieses Mal wissen viel mehr von uns, worin die wahre Energiesicherheit besteht. Dank der Arbeit von erstklassigen Forschern wie Mark Jacobson und seinem Team in Stanford wissen wir, dass die Welt sich bis 2030 vollständig mit erneuerbarer Energie versorgen kann. Und dank des jüngsten, alarmierenden Berichts des IPCC wissen wir auch, dass dies ein existentieller Imperativ ist.

Das ist die Infrastruktur, die wir schleunigst bauen müssen – keine gigantischen Industrieprojekte, die uns auch noch die kommenden Jahrzehnte von fossilen Brennstoffen abhängig machen. Klar, diese Brennstoffe werden noch gebraucht, bis der Übergang geschafft ist, aber es sind noch mehr als genug konventionelle Brennstoffe vorhanden, damit wir bis dahin kommen. Besonders dreckige Extraktionsmethoden wie die Produktion von Öl aus Teersand und Fracking sind schlicht nicht notwendig. Wie Jacobson es in einem Interview diese Woche sagte: „Wir brauchen keine unkonventionellen Brennstoffe, um die Infrastruktur herzustellen, die wir brauchen, damit wir vollständig saubere und erneuerbare Wind-, Wasser- und Sonnenenergie erhalten, die für alle Zwecke eingesetzt werden kann. Die existierende Infrastruktur plus die neue Infrastruktur [für die Erneuerbaren] ist vollkommen ausreichend für die Herstellung der restlichen sauberen Infrastruktur, die wir noch brauchen werden. Konventionelles Öl und Gas sind in weit größeren Mengen vorhanden, als wir sie benötigen.“

Vor diesem Hintergrund ist es an den Europäern, ihren Wunsch nach mehr Unabhängigkeit von Russland umzulenken in eine beschleunigte Energiewende. Diese Energiewende – zu der sich die europäischen Nationen nach dem Kyoto-Protokoll verpflichtet haben – kann sehr leicht sabotiert werden, wenn der Markt mit billigem Öl und Gas geflutet wird, die aus dem Untergrund der USA gefrackt wurden. Nicht von Ungefähr arbeitet die NGO Americans Against Fracking, die gegen die Schnellgesetzgebung in Sachen LNG-Export Klage erhoben hat, eng mit ihren Mitstreitern in Europa zusammen, damit genau das nicht passiert.

Der Bedrohung der katastrophalen Erderwärmung entgegen zu steuern, ist unser allerdringendster Energie-Imperativ. Und wir können es uns einfach nicht leisten, uns vom neuesten, von der Krise befeuerten Marketingtrick der Erdgasindustrie ablenken zu lassen.

Warum sich die US-Fracking-Firmen wegen der Ukraine die Lippen lecken
Naomi Klein in: The Guardian, 10. April 2014

Übersetzt von Carin Schomann

Siehe auch: Gegen-Gasbohren.de: Ukraine explained