Warum umgehend Schluss sein muss mit Kohle, Öl und Gas – und nicht erst irgendwann in 85 Jahren
Wenn sich auch nur die Hälfte von dem bewahrheitet, was die Klima- und Polarforscher um James Hansen errechnet haben, dann wird sich die Erdoberfläche sehr bald mit sehr viel mehr Wasser als bisher bedecken. Städte, Küsten, ganze Länder wie die Niederlande, Bangladesh, die nordamerikanische Ostküste werden im Meer verschwinden, und mit ihnen die Errungenschaften der Zivilisation.
Fukushima nach dem 15-Meter-Tsunami 2011 kann als winziger Vorgeschmack dafür gelten, was auf die Menschheit zukommt. Und zwar viel schneller als gedacht. Drei große Gletscher an den Polen sind längst dabei, den Abgang zu machen, derweil die Erde immer noch mehr gefrackt und immer noch mehr Kohlen(wasser)stoffe verbrannt und entsprechend Energie in die Atmosphäre und die Ozeane gepresst werden sollen. Das Anthropozän, das Zeitalter, in dem der Mensch ein bedeutender Umweltfaktor geworden ist, scheint längst in ein Hyper-Anthropozän umgeschlagen zu sein: Die Umweltkatastrophe Mensch in ihrem Wachstumswahn verfeuert die Erde und riskiert am Ende im Schmelzwasser unterzugehen.
Die Forscher schlagen Alarm, wie der klimaretter es ausdrückt, in einem Beitrag voller lesenwerter Links. Und das scheint nicht übertrieben! Denn die Eisschilde in der Arktis und in der Antarktis schmelzen viel schneller als noch vor Kurzem angenommen. Selbst die alarmierenden Prognosen, die der Weltklimarates (IPCC) erst letztes Jahr herausgab, bewerten die kommende Katastrophe als viel zu harmlos.
Die geplante Festlegung des so genannten Klimaziels – eine Erderwärmung um 2 Grad Celsius bis 2100 -, also die fortgesetzte Kohle-, Öl- und Gasförderung und ihre Verbrennung werden apokalyptische Folgen haben, so warnen die Wissenschaftler um Hansen, die ihre Forschungsergebnisse noch vor dem üblichen Peer Review zur allgemeinen Kommentierung veröffentlicht haben. In ihrem Beitrag mit dem Titel »Eisschmelze, Anstieg der Meeresspiegel und Super-Stürme: Hinweise von paläoklimatischen Daten, Klima-Modellrechnungen und aktuelle Beobachtungen, dass das 2-Grad-Klimaziel hochgefährlich ist« kommen die Autoren zu dem Schluss, dass das in Kopenhagen 2009 beschlossene 2-Grad-Klimaziel keine Sicherheit bringt, weil eine derartige Erwärmung sehr wahrscheinlich Meeresspiegelanstiege von mehreren Meteren sowie eine Reihe von schwerwiegenden, zerstörerischen Konsequenzen für die Menschheit und die Ökosysteme mit sich bringen würde. Demnach würde es auch nicht reichen, 80 Prozent der noch verfügbaren fossilen Brennstoffe unter der Erde zu belassen: Die Studie, die das ausgerechnet hat, ging noch vom 2-Grad-Klimaziel aus.
Zudem weisen die Wissenschaftler nach, dass die durchschnittliche Temperatur der Atmosphäre nicht das einzige Maß für eine sichere Zukunft sein können, da sich mit der Eisschmelze Teile der Erde auch abkühlen werden. Vielmehr sei der Eintrag von Energie ins Gesamtsystem zu beachten und das aktuelle energetische Ungleichgewicht – es wird mehr Energie ins System eingebracht als entweichen kann – zu beseitigen.
Die Erkenntnis, die die Klimaforschung den politischen Entscheidern ins Gebetbuch schreibt, ist, dass die CO2-Emissionen durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen (Erdöl, Erdgas) so schnell wie möglich und so weit wie möglich heruntergefahren werden muss. Hansen und Kollegen schlagen zur Beschleunigung der Abkehr von den fossilen Brennstoffen vor, höhere Abgaben auf Kohlenwasserstoff-Emissionen zu erheben. Solche Abgaben, die weltweit erhoben werden müssten, seien unabdingbare Voraussetzung, um den Ausstoß dieses Klimagases zu senken. Gleichzeitig müsse die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Gewinnung von sauberen Energien forciert werden, so die Wissenschaftler.
»In Anbetracht der Trägheit von Klima und Energiesystemen der Erde und im Angesicht der schweren Bedrohung, die die anhaltenden hohen Emissionen von Klimagasen darstellen, ist die Angelegenheit dringend und ruft nach der notfallmäßigen Kooperation zwischen den Staaten dieser Erde« ist das Schlusswort dieser wissenschaftlichen Arbeit, das ganz untypisch, aber sehr berechtigt dramatisch daherkommt. Es wäre zu fordern, dass das nächste Kaffeekränzchen der mächtigsten Frau der Welt mit dem US-amerikanischen Präsidenten nicht im idyllischen Heidi-Land, sondern auf einem der Polargletscher stattfindet, der sich bereits auf dem Weg ins Meer befindet. Die Antwort auf die Frage, ob sie dann immer noch ihre Hände zum Zeichen der Raute formen und einen Ausstieg aus den Fossilen – irgendwann bis 2100 – ankündigen kann oder sie ob sie ihre Hände doch besser zum Festhalten benutzt, weil es keinen festen Grund mehr unter den Füßen gibt – diese Frage dürfte unschwer zu beantworten sein.
Quelle der Inspiration:
J. Hansen, M. Sato, P. Hearty, R. Ruedy, M. Kelley, V. Masson-Delmotte, G. Russell, G. Tselioudis, J. Cao, E. Rignot, I. Velicogna, E. Kandiano, K. von Schuckmann, P. Kharecha, A. N. Legrande, M. Bauer, and K.-W. Lo
Ice melt, sea level rise and superstorms: evidence from paleoclimate data, climate modeling, and modern observations that global warming is highly dangerous
Discussion Paper | Atmos. Chem. Phys. Discuss., 15, 20059–20179, 2015
doi:10.5194/acpd-15-20059-2015
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This discussion paper is/has been under review for the journal Atmospheric Chemistry and Physics (ACP). Please refer to the corresponding final paper in ACP if available.
Weitere Lektüre:
Naomi Klein, This Changes Everything. Capitalism vs. the Climate
Naomi Klein, Klima vs. Kapitalismus. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2012
Titelgrafik auf Grundlage des Fotos Eerie Antarctic Ice Flows von Christopher Michel from San Francisco, USA, auf Wikimedia