TTIP und die Chemikalienpolitik in der EU: Mögliche Auswirkungen auf bestehende und künftige Regulierungen
Heute schon praktizierter Chemikalien-Einsatz beim Fracking gibt einen Vorgeschmack
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sieht durch das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP die Schutzstandards vor gesundheitsschädlichen Chemikalien gefährdet. Eine von dem Umweltverband in Auftrag gegebene Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass vor allem die Aufgabe des in der EU geltenden Vorsorgeprinzips den Schutz der Verbraucher vor krebserzeugenden, hormonell wirksamen und umweltschädlichen Chemikalien infrage stellen würde.
»Im Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz müssen die Standards verbessert werden anstatt sie aufzuweichen oder zu nivellieren. Die Gesundheit der Menschen muss Vorrang haben vor den Interessen der Chemieunternehmen. Keinesfalls darf das bei uns geltende Vorsorgeprinzip vor gefährlichen Schadstoffen zur Verhandlungsmasse werden. Angeblich notwendige Harmonisierungen oder sogenannte gegenseitige Anerkennungen im Rahmen von TTIP darf es nicht geben«, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger in Berlin anlässlich der Veröffentlichung der Expertise.
Weiger warf der US-Regierung vor, in der EU derzeit laufende Bemühungen zum besseren Schutz der Verbraucher vor hormonell wirksamen Chemikalien zu torpedieren: »Mehrfach hat die Obama-Administration unter dem Vorwand einer Vermeidung von Handelshemmnissen die EU-Kommission schriftlich aufgefordert, keine ihrer Ansicht nach diskriminierenden oder unbegründeten Schutzvorschriften vor risikobehafteten Chemikalien zu erlassen. Die Instrumentalisierung der TTIP-Verhandlungen zur Verhinderung besserer Umwelt- und Verbraucherschutzstandards ist nicht hinnehmbar. Auch deshalb fordern wir den sofortigen Stopp von TTIP«, sagte der BUND-Vorsitzende.
Wie das EU-Vorsorgeprinzip durch TTIP ausgehebelt werden soll, erklärt die Expertise ausführlich. Es sei das Ziel der Industrie-Lobby, dass das als »unwissenschaftlich« verunglimpfte EU-Vorsorgeprinzip durch sogenannte »solide Wissenschaft« ersetzt und mit einem so genannten »Innovationsprinzip« ergänzt werden. Dieses Ansinnen geht zurück auf eine Forderung von 12 mächtigen Unternehmen der Chemie- und der Saatgut-Branche nicht etwa in den USA, sondern in Europa. Demnach müsse »immer dann, wenn Nutzungsbeschränkungen oder -verbote auf Grundlage des Vorsorgeprinzips in Betracht gezogen werden, geprüft werden, welche Auswirkungen dadurch auf Innovationen zu erwarten sind«. Da sich Beschränkungen und Verbote von Stoffen wohl immer negativ auf den Handel und den Einsatz damit auswirken werden, ist das Vorsorgeprinzip für diese Unternehmen ein Handelshemmnis und soll abgeschafft werden.
Aktuell sind laut BUND in der Europäischen Union über 1300 chemische Kosmetikzusätze sowie mehr als 80 Pestizidwirkstoffe verboten, die in den USA zugelassen sind. In den USA sind vergleichsweise wenige Chemikalien verboten und die Industrieunternehmen nicht verpflichtet, die Sicherheit eines Stoffes nachzuweisen. In der EU hingegen gilt das Prinzip »Keine Daten, kein Markt«. Hersteller bzw. Importeure bzw. Anwender von Chemikalien sind verpflichtet, die Unbedenklichkeit von Stoffen nachzuweisen, bevor sie in den Markt bzw. zur Anwendung kommen. Nach EU-Recht sind Verbote und Zulassungsbeschränkungen nach dem Vorsorgeprinzip auch dann möglich, wenn der endgültige Beweis für die von einer Chemikalie ausgehenden Risiken noch nicht erbracht sei.
»Die Bevölkerung der USA und der EU muss bestmöglich vor gesundheitsschädlichen Chemikalien geschützt werden. Mit TTIP wollen Chemiekonzerne diesseits und jenseits des Atlantiks genau das Gegenteil erreichen. Wir brauchen kein sogenanntes Freihandelsabkommen, dass den Verbraucherschutz schwächt«, so der BUND-Vorsitzende.
Gefährliche Stoffe in Kosmetika und Pestiziden dienen in der BUND-Expertise als Beispiele für die Schwächung, die TTIP den Schutzrechten beifügen würde. Ein weiteres, chemikalienrechtlich bedeutsames Feld ist Fracking – das hydraulische Aufbrechen von Rohstoff-Lagerstätten mit einer Mischung als Wasser, Sand und Chemikalien-Cocktails. Für den Chemikalieneinsatz beim Fracking würde sich durch TTIP wahrscheinlich nichts Wesentliches ändern, weil hier das Vorsorgeprinzip anscheinend sowieso nur auf dem Papier existiert. Für Fracking , wie es in Deutschland bereits z. B. mit nicht zugelassenen Bioziden praktiziert wurde, braucht es offensichtlich kein TTIP, um das »Innovationsprinzip« anzuwenden, denn hier scheint ja heute schon/nach wie vor ein in der Praxis mehr oder weniger unregulierter Umgang mit Chemikalien stattzufinden.
Download der Expertise TTIP und die Chemikalienpolitik in der EU. Mögliche Auswirkungen auf bestehende und künftige Regulierungen [PDF]