Bisherige Frack-Flüssigkeiten, die im tiefen Sandstein im Gasfeld Söhlingen eingesetzt wurden, enthielten Stoffe mit biozider (»Leben abtötender«) Wirkung, deren Einsatz beim Fracking chemikalienrechtlich nicht zugelassen ist. Diese Stoffe weisen teilweise auch für Menschen sehr giftige Eigenschaften auf: Einige können Krebs erregen, andere das Erbgut verändern oder die Fruchtbarkeit bzw. den Embryo schädigen. Dieses sog. »konventionelle Fracking« im tiefen Sandstein Niedersachsens soll sich angeblich schon jahrzehntelang bewährt haben und sicher sein – eine fragwürdige Behauptung, weil bislang nicht hingeschaut wurde, welche Umwelt- und Gesundheitsgefahren tatsächlich von ihm ausgehen.
Mehr als 33 Tonnen teilweise sehr gefährlicher Biozide wurden zwischen 1982 und 2010 in den Söhlinger Untergrund eingepresst; weitere solcher Stoffe steckten in Rezepturen und sind nicht ohne Weiteres quantifizierbar.
Das ergibt eine Auswertung der »Tabelle des Grauens«, jener Liste von chemischen Additiven in Frack-Flüssigkeiten, die im Söhlinger Gasfeld verpresst wurden, die der damalige Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) auf die Anfrage des damaligen Landtagsabgeordneten Ralf Borngräber (SPD) am 4. Mai 2011 ausgegeben hat. (Nds. LT Drs. 16/3591).
Diese Tabelle enthält Namen und jeweils eingesetzte Mengen von Chemikalien, die im Gasfeld Söhlingen eingesetzt wurden. Nicht alle Stoffnamen lassen die eindeutige Identifizierung der Stoffe zu, die für 52 Frack-Maßnahmen in 21 Bohrungen angegeben sind. Häufig bezeichnen die Namen nur Stoffgruppen (z. B. Diesel), manchmal auch nur ihre Funktion als Quervernetzer, Brecher etc.
Doch auch schon die eindeutig identifizierbaren Chemikalien sprechen eine besorgniserregende Sprache. In der Gruppe der nicht zugelassenen Biozide befinden sich elf, die nicht die nach der Biozid-Verordnung (s. u.) erforderlichen Zulassungen haben. Mehr als 33 Tonnen dieser nicht zugelassenen Biozide wurden im Söhlinger Gasfeld unter Tage ausgebracht, um Bakterienwachstum in Bohrung, Perforation und Klüften zu verhindern.
Chemikalienrecht (Biozide)
»Biozid« bezeichnet
»jeglichen Stoff oder jegliches Gemisch in der Form, in der er/es zum Verwender gelangt, und der/das aus einem oder mehreren Wirkstoffen besteht, diese enthält oder erzeugt, der/das dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, ihre Wirkung zu verhindern oder sie in anderer Weise zu bekämpfen.« (Artikel 3 Absatz 1 a) Biozid-Verordnung (EU) Nr. 528/2012)Seit dem 14. Dezember 2003 besteht eine Zulassungspflicht für alle Biozide nach der europäischen Biozid-Verordnung (EU) Nr. 528/2012). Doch auch schon davor durften diese gefährlichen Stoffe nicht beliebig verwendet werden: Ab 16. Februar 1998 regelte die europäische Biozidprodukte-Richtlinie (EU-Richtlinie Nr. 98/8/EG) ihre Zulässigkeit. Davor, bis Mitte der 1990er-Jahre, seien Biozide in der Europäischen Union weitgehend ungeprüft verbreitet worden, erklärt das Umweltbundesamt auf seiner Website – ob recht- oder unrechtmäßig, hätte in Deutschland anhand des Chemikaliengesetzes geklärt werden können, das hier seit 1980 galt. Seit 01. Juni 2007 hat die europäische REACH-Verordnung ((EG) 1907/2006) das nationale Chemikaliengesetz abgelöst. Nach ihm müssen fast alle Chemikalien mit Angabe ihrer Verwendungszwecke (substance use, SU) registriert werden.
Die europäische Chemikalienagentur ECHA ist derzeit dabei, eine spezifische Verwendungskategorie für Fracking einzuführen. Ab 2016 sollen Hersteller bzw. Importeure bzw. Verwender von Frack-Chemikalien diesen Verwendungszweck gem. REACH registrieren.
Borsäure, 2,2′,2″-Nitrilotriethanol, 2-Butoxyethanol, Adipinsäure, Kristallines Siliciumdioxid, 5-Chloro-2-Methyl-2H-Isithiazol-3-One, Isooctanol, Glycerin, Ethansäure, Diatomeenerde, Natriumpersulfat – das sind die Namen der chemikalienrechtlich nicht zugelassenen, biozid wirksamen Stoffe in der »Tabelle des Grauens«, die klar identifizierbar sind. Diese Stoffe stecken teilweise auch in Zubereitungen (Stoffgemischen, Rezepturen), die die Tabelle aufführt. Diese sind aber nicht immer eindeutig und vor allem nicht mengenmäßig bestimmbar. Deshalb sind sie nicht in die Summen in der obigen Tabelle eingeflossen.
Drei der aufgeführten Stoffe sind nicht gem. REACH registriert. Anscheinend ist nur einer (2-Buthoxyethanol) für die Verwendung im Bergbau auf dem Festland registriert.
Ein Stoff (Borsäure) steht seit 2010 wegen seiner Reproduktionstoxizität auf der Liste der besonders besorgniserregenden Substanzen (SVHC). (»Die Ölindustrie ersetzt sie [die Bor-Verbindungen] zunehmend durch Komplexverbindungen von Metallen der 4. Nebengruppe, für die bisher keine toxischen oder umweltschädlichen Wirkungen bekannt sind.« (Plank J, Echt T, Chemikalien für Fracking. Nachrichten aus der Chemie 62, Juni 2014, S. 608)
Die Biozide in den Frack-Flüssigkeiten sind maßgeblich für deren Gesamttoxizität verantwortlich. In ihrem ökotoxikologischen Gutachtens im Rahmen von ExxonMobils Fracking-Risikostudie haben Mechthild Schmitt-Jansen und Kollegen Toxizitätswerte für einige der in den Söhlinger Bohrungen eingesetzten Frack-Fluide errechnet, die das bis zu 700.000-Fache der Unerheblichkeitgrenze überschritten hatten.
Das Umweltbundesamt sieht die beim Fracking eingesetzten Biozide unter anderem auch unter Abfallgesichtspunkten kritisch, da diese im wieder zurückgeförderten Frack-Fluid (Flowback) enthalten seien. Das UBA favorisiert eine gezielte Aufbereitung des Flowback zur Wiederverwertung.
Und so weiter – über die Hinterlassenschaften allein schon der 52 Frack-Maßnahmen im Söhlinger Gasfeld könnte man lange forschen und Hunderte Seiten schreiben. Was alles mit den übrigen 284 bekannten, in Niedersachsen stattgefundenen Frack-Maßnahmen an gefährlichen Chemikalien in den Untergrund verpresst wurde, liegt noch weitestgehend im Dunkeln – nicht zuletzt, weil auch die zuständige Bergbehörde LBEG gar nicht so genau weiß, was den Frack-Fluiden in ihrem Zuständigkeitsbereich im einzelnen zugesetzt wurde und sich jetzt außer Kontrolle in der Umwelt befindet, entweder, weil es im gefrackten Bereich verblieben ist oder weil es zurückgefördert und in alte Bohrlöcher verklappt wurde.
Wie weiter mit dem Tight-Gas-Fracking?
Der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel hat sich unlängst für eine strengere Vorsorge vor schädlichen Spurenstoffen im Grund- und Trinkwasser ausgesprochen. Zwar ging es ihm da konkret um schädliche, chemische Auswirkungen von Pestiziden, Antibiotika, Schmerz- und Rheumamitteln, die Folgen für die menschliche Gesundheit haben können, weshalb der Vorsorgegesichtspunkt gestärkt werden müsse. Dass eine verstärkte Wahrnehmung des Vorsorgeprinzips aber auch eine Auswirkung auf die Anwendung von Bioziden beim Fracking haben müsste, ist anzunehmen.
Auch die aktuell geplanten Rechtsänderungen für Fracking fokussieren eher auf das Wasser denn auf die menschliche Gesundheit als Schutzgut. Die Einrichtung eines Frack-Chemikalien-Katasters wäre ein Fortschritt gegenüber den bisher nicht oder oft nur in chaotischer, unzulänglicher Form veröffentlichten Daten zu Frack-Fluiden.
Das vorgesehene Verbot von Frack-Fluiden, die stärker als »schwach« wassergefährdend sind, scheint allerdings bei Weitem nicht ausreichend: Die meisten bisher eingesetzten Chemikalien gelten als nicht wassergefährdend. Dennoch können sie krebserregend, mutagen, reproduktionstoxisch oder anders gesundheits- bis lebensgefährlich sein. Der Gesetzgeber täte also gut daran, der Gesundheit von Mensch und Tier auch in punkto Fracking den ihr gebührenden Platz einzuräumen, nämlich als höchstes Schutzgut, das vor den Interessen der Industrie steht. Das Fracking, z. B. das im tiefen Sandstein, wie der Fracking-Gesetzentwurf auch noch ausdrücklich erlauben will, ist jedenfalls nicht ohne Chemikalien, auch nicht ohne Biozide möglich.