»Fracking im dicht besiedelten Deutschland wäre fatal«, ist Professor Karsten Runge von der Leuphana-Universität, Lüneburg, überzeugt, denn »die Möglichkeiten der Prüfung und der Diskussion von Umweltfolgen hinken der technischen Entwicklung des Frackings zu weit hinterher, um es bedenkenlos einzuführen«.
Demgegenüber findet Professor Mohammed Amro, TU Bergakademie Freiberg: »Beim Fracking sollte Deutschland keine Zeit verlieren.« Bei Gas und Öl sei Deutschland zu fast 90 bzw. 98 Prozent von Importen abhängig und daher sollte »das vor Ort technisch förderbare Potenzial nicht vernachlässigt werden«.
Das PRO und CONTRA Fracking der Professores Amro und Runge in den Nachrichten aus der Chemie zeigt ein weiteres Mal: Apologeten des Fracking wandeln auf ganz dünnem Eis, wenn es um wahrscheinliche und daher einzukalkulierende Auswirkungen des Fracking auf die Umwelt geht. Den schweren, umweltwissenschaftlich begründeten Bedenken der Fracking-Kritiker können sie wenig bis nichts Greifbares entgegensetzen – weder technisch noch ökonomisch wie in diesem Beispiel.
Fracking für weniger Importabhängigkeit?
Dass Fracking die Importabhängigkeit Deutschlands nicht nennenswert ändern würde, vergisst Professor Amro bei seiner Forderung, keine Zeit zu verlieren. Spätestens seit dem Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) vom Mai 2013 ist diese Tatsache kaum von der Hand zu weisen. Der SRU kommt zu dem Schluss, dass die Gewinnung von Schiefergas in Deutschland weder die Gaspreise senken noch die Versorgungssicherheit erhöhen würde. Der SRU ist entsprechend der Auffassung, dass kein besonderes übergeordnetes öffentliches Interesse, möglicherweise aber ein betriebswirtschaftliches Interesse der Industrie an der Erschließung besteht. Diese Einschätzung wird untermauert von der zwei Jahre jüngeren Studie von Werner Zittel: »Es ist eine Illusion zu hoffen, dass man die [in den USA] erzielten Fördererfolge auch in Europa erreichen könne.«
Seit wann gab es Fracking in Deutschland?
Fracking wird in Öl- und Gaslagerstätten … seit 1961 in Deutschland praktiziert…
Prof. Amro in Nachr. Chem. Juni 2015
Der Informationsgehalt dieser Aussage entspricht nicht dem aktuellen Wissensstand. Spätestens seit 2013, als das schleswig-holsteinische Umweltministerium entsprechend informierte, ist nämlich bekannt, dass die erste Frack-Maßnahme in Deutschland spätestens 1955 stattgefunden hat. Die nebenstehende Karte des LBEG zeigt die Bohransatzpunkte und Jahre der Fracks im nördlichsten Bundesland seit 1955.
Wieviel Erfahrung gibt es mit Fracking in Deutschland?
Aber vielleicht wollte Professor Amro mit der langjährigen Anwendung des Fracking auch nur belegen, dass die Gasindustrie sehr viel Erfahrung mit dem Einsatz dieser Technik hat – dann spielen ein paar Jahre mehr oder weniger keine große Rolle. Vielleicht wollt der Bergbau-Experte einfach nur suggerieren, dass die Gas-Industrie ihr Frack-Werk sicher beherrscht? Aber selbst wenn: Was würde es nützen, wenn seine folgende Aussage stimmte?
Es ist wichtig zu erwähnen, dass die bekannten Umweltprobleme wie Boden- und Grundwasserkontamination an Bohrungen mit Fracking-Anwendungen aus Unachtsamkeit oder Unfällen auf dem Bohrplatz resultierten.
Prof. Amro in Nachr. Chem. Juni 2015
Schlimm genug, wenn schon »der menschliche Faktor« oder »Unfälle« zu derartigen Umweltproblemen geführt haben. Doch wie mag es erst um die offenbar noch nicht einmal ansatzweise umfassend erforschten Vorgänge im durchbohrten und gefrackten Untergrund bestellt sein? Die notorisch defizitäre Anlagensicherheit – versagende Bohrlochsintegrität und leckende Rohstoff- bzw. Lagerstättenwasserleitungen sollen als Stichworte genügen – vergisst Amro zu erwähnen. Auch erwähnt er nicht, dass Umweltprobleme auch ohne menschliches Versagen oder »Unfälle« nicht ausgeschlossen werden können, weil anscheinend regelmäßig kein ausreichendes Monitoring von Boden, Wasser und Luft an Frack-Bohrungen stattgefunden und das Gegenteil bewiesen hat. In Tight-Gasfeldern gab es bisher (soweit bekannt) überhaupt kein solches Monitoring und an der einzigen Schiefergas-Frackbohrung in Deutschland (Damme 3) wurden nur wenige, kurzfristige Messungen der Frack-Längen und des Flowback-Volumens vorgenommen. Die »Prüfung und Diskussion von Umweltfolgen bleiben weit hinter der technischen Entwicklung zurück«, stellt Professor Runge in Nachr. Chem. Juni 2015 konsequenterweise fest.
War Fracking bisher sicher, weil die Bergbehörden es zugelassen hatten?
In Deutschland verlangen die Aufsichtsbehörden (Berg-, Wasserbehörde) genaue Angaben zur Zusammensetzung der Fluide, ansonsten erteilen sie keine Genehmigung.
Prof. Amro in Nachr. Chem. Juni 2015
Bei dieser Behauptung scheint der Freiberger Bergbauexperte in seine Glaskugel zu schauen und eine Wunschzukunft zu deuten. Falls Fracking überhaupt jemals in Deutschland rechtssicher erlaubt wird – wie die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel sich das wünscht -, wäre Amros Ansage nur dann korrekt, wenn sich die zuständigen Behörden zukünftig strenger als bisher an die Buchstaben der Gesetze hielten. Aus der Vergangenheit liegen jedenfalls zahlreiche Hinweise darauf vor, dass dem nicht immer so war.
So ist unter anderem bekannt, dass das früher für Bergbau-Vorhaben in Norddeutschland zuständige Oberbergamt Celle in allen bisher nachgefragten Fällen festgestellt hat, dass für Tiefbohrungen, aber zum Beispiel auch für die Verpressbohrung Groß-Hamburg 2 »eine wasserrechtliche Erlaubnis nicht erforderlich« sei. Ein Blick ins Wasserhaushaltgesetz legt allerdings nahe, dass es sich bei solcherart zugelassenen Projekten um wasserrechtliche Schwarzbauten handelt. Aber auch die Nachfolgebehörde des OBA Celle, das LBEG, hat es bei der Übernahme der »Geschäfte« nicht für erforderlich gehalten, etwaige Mängel in den betreffenden Zulassungsverfahren zu beseitigen, sondern hat die Praxis der »nicht erforderlichen wasserrechtlichen Erlaubnis« fortgeführt, indem es die örtlich zuständigen Wasserbehörden gar nicht an den Zulassungsverfahren beteiligt hat.
Ähnliches gilt für den Einsatz von Chemikalien in Frack-Fluiden, auf die der Freiberger Professor hier abhebt. Auch da hat die genehmigende Bergbehörde in Norddeutschland Zulassungen erteilt, bei denen daraufhin Chemikalien offenbar illegal in den Untergrund verbracht wurden – Chemikalien, die entweder nicht eindeutig benannt waren und/oder gar keine Zulassung nach Chemikalien- bzw. Biozidrecht hatten und nicht hätten verwendet werden dürfen – darunter krebserzeugende, fruchtbarkeitsschädigende oder das Erbgut schädigende Stoffe. Entweder hat die Zulassungsbehörde ihre Pflicht nicht getan, die Zulässigkeit der beantragten Frack-Chemikalien zu überprüfen, oder das/die Unternehmen haben sich nicht an die Zulassungen gehalten.
Fracking jetzt auch noch rechtssicher zu erlauben wäre ein fataler Fehler
In Norddeutschland hat es nach Auskünften der Bergbehörden bisher etwa 360 Frack-Maßnahmen in etwa 150 Bohrungen gegeben – bis auf zwei Erdwärme- und eine Schiefergas-Lagerstätte sämtlich in dichtem Sandstein (tight gas/oil). Ihre möglichen oder wahrscheinlichen negativen Umweltauswirkungen sind noch nicht einmal ansatzweise untersucht worden, obwohl es bereits Indizien für umweltschädliche Auswirkungen gibt. Sollte das heute bekannte Schieferöl/-gaspotenzial in Deutschland ausgebeutet werden, würde das zirka 48.000 Bohrungen auf einer Gesamtfläche von 9.300 km² erfordern. Selbst wenn nur ein Prozent dieser Bohrungen leckschlagen würden (in Wirklichkeit versagt die Bohrlochsintegrität je nach Literaturquelle um die 7 Prozent plus-minus X in den ersten zwei Jahren) – das Ausmaß allein an Grundwasserschäden wäre katastrophal. Professor Runge dazu:
Bei unkonventioneller Erdgasförderung sind erhebliche Umweltwirkungen und Verdrängungseffekte nicht nur möglich sondern wahrscheinlich. Ein dem Explorationsglück und dem Markt überlassener Frackingboom würde sich in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland fatal auswirken.«
Prof. Runge in Nachr. Chem. Juni 2015
Technikverliebtheit und der blinde Glaube, die deutsche Ingenieurskunst sei in jedem Fall mächtiger als die Natur, scheint aus Professor Amros Statement zu sprechen, genauso wie aus den Mündern anderer Koryphäen, die sich für Fracking aussprechen oder auch schon mal einen Schluck Frack-Fluid trinken. So oft solche Beteuerungen auch wiederholt werden mögen, sie können nicht als Beweise dafür gelten, dass Fracking kontrollierbar ist und sicher angewendet werden kann. Im selben Maße, wie die Evidenz für die Gefährlichkeit der Technik zunimmt, wächst auch ihre Ablehnung. Die (mit einer Ausnahme) nun schon vier Jahre andauernde Fracking-Pause in Deutschland und die Unfähigkeit des pro-Fracking-Lagers, ihre Behauptung vom beherrschbaren Fracking mit entsprechenden Nachweisen zu belegen, und die daraus folgende Unfähigkeit der Regierung, Fracking »zu regulieren«, müssten logischerweise darauf hinauslaufen, dass das Moratorium in ein gesetzliches Fracking-Verbot mündet und mit dieser gefährlichen Technik Schluss ist.
Professor Mohammed Amro ist Fachmann für Tiefbohrtechnik, Erdöl- und Erdgasgewinnung mittels Fluid-Technik an der TU Bergakademie Freiberg, Sachsen. Zusammen mit Prof. Matthias Reich und »Mit freundlicher Unterstützung von GDF Suez, RWE Dea AG, ExxonMobil, Wintershall und Baker Hughes« hat er kürzlich das Buch »Schätze aus dem Untergrund. Wie Hightech das Gas- und Ölzeitalter verlängert« verfasst.
Professor Dr. Ing. Karsten Runge ist Landschaftsarchitekt, Umweltwissenschaftler und Geschäftsführer der OECOS GmbH sowie außerplanmäßiger Professor an der Leuphana Universität zu Lüneburg. Er war vor Kurzem Co-Autor des UBA-Gutachten 2014: Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas insbesondere aus Schiefergaslagerstätten.