Pippi Langstrumpf wäre stolz auf Exxon, jedenfalls, was die Methode angeht: Wir machen uns die Welt, wiedewiedewie sie uns gefällt. Was als »2. Regionaldialog« angekündigt war, entpuppte sich als schräge Vortragsveranstaltung, stark gelenkt, bei der auch schon mal ganz autoritär der »Dialog« abgebrochen wurde, als die Unternehmensvertreter mit dem Rücken an der Wand standen. Alles in allem bestärkte sich der Eindruck, dass das Unternehmen hier, wie es vorgibt, weniger lernen, sondern vielmehr mit ihrem neuen »Dialog«-Format sein angekratztes Image als »guter Nachbar« polieren will und dabei aber doch nur sagt, was ihm in den Kram passt. Da half es auch nicht, dass man am Tresen, als man seine Getränke bezahlen wollte, erfuhr, dass Exxon die Zeche zahlen würde – was Besucher mit Empörung quittierten.
Lieber wäre es der Bevölkerung – zumindest dem Teil, der der Erdgasförderung in der Region kritisch oder ablehnend gegenübersteht – wenn Exxon seine eigentliche Zeche zahlen würde. Wenn die Schäden, die schon angerichtet sind, aus der Welt geschafft statt durch fortgesetzte Umweltschädigung noch vergrößert würden. Dass Schluss gemacht würde mit einer Praxis, »bei der Dinge passieren, die nicht passieren dürften«.
Unangenehme Fragen
Und die Bevölkerung will endlich Antworten auf Fragen. Fragen, die verstärkt in den letzten Jahren aufkamen, als entdeckt wurde, dass Benzol und Quecksilber in Böden und Gewässern sind, die durch schlampigen Umgang mit der Gasfördertechnik verursacht wurden. Fragen, die aufkamen, als es endlich gelang, die Existenz hunderter Bohrschlammgruben mit ihrem giftigen Inhalt ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Fragen, die mit der Praxis des hemmungslosen Verklappung von Millionen von Kubikmetern gefährlicher flüssiger Abfälle in alte Bohrlöcher zusammenhängen. Fragen zum Abfackeln von Rohgas auf den Betriebsplätzen und einer möglichen, daraus resultierenden Kontamination von Luft, Böden und Gewässern. Fragen nach den Fakten hinsichtlich der eingesetzten Bohr- und Frack-Chemikalien usw. usf. – im Übrigen sämtlich Fragen, die nicht von der Gasindustrie, auch nicht von der Bergaufsicht und Genehmigungsbehörde, sondern von Bürgern und Umweltverbänden aufgebracht worden sind.
Beim »1. Regionaldialog«, der im Juni in Rotenburg/Wümme stattfand, hatten laut Zeitungsberichten rund 50 Anwohner viele dieser Fragen und Forderungen aufs Tapet gebracht. Das »Protokoll«, das die Chefin der Exxonschen PR-Abteilung (Unternehmenskommunikation) danach verfasst hat, stellt einige davon dar – allerdings aus der genehmen Sicht des Unternehmen und nicht, wie sie tatsächlich gestellt worden waren, so die Kritik von Teilnehmern.
»Nicht relevant«
In Hemslingen waren es dann schon deutlich weniger, die sich in Exxons Salon begaben: Etwa 30 Menschen hatten sich in Meyers Gasthaus eingefunden (die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens und seiner Sub-Unternehmen sowie den sicherlich privat anwesenden Bergdirektor von der Bergaufsicht LBEG, Klaus Söntgerath, nicht mitgezählt). Diesmal sollte ExxonMobil über das Thema »Lagerstättenwasser« sprechen. Dr. Harald Kassner, Chefchemiker des Unternehmens, hielt ein langes Referat über diesen Giftmüll, der bei der Erdgasförderung anfällt, und seine stets »nicht relevanten« Anteile von Schadstoffen.
Das krebserzeugende Benzol erreiche im Lagerstättenwasser eher selten kritische Werte, so Kassner. Ein im Publikum anwesender Kinderarzt wurde dagegen nicht müde, darauf hinzuweisen, dass es für Benzol keinen Grenzwert gebe, sondern der Stoff immer gefährlich sei.
Radioaktive Stoffe verblieben »unten in der Lagerstätte«, behauptete Kassner, nur um auf Nachfrage zuzugeben, dass diese Stoffe sehr wohl auch an die Oberfläche gelangten – im Wesentlichen in Ablagerungen in den Förderrohren. Ihre Strahlung würde aber kaum über der natürlichen Hintergrundstrahlung liegen, sei also »nicht relevant« und falle nicht unter die Strahlenschutzverordnung, meinte Kassner. Offenbar hat der gute Mann vergessen, dass in Deutschland jährlich bis zu rund 700 Tonnen stark strahlender Müll allein bei der Öl- und Gasförderung anfallen, die entsprechend entsorgt werden müssen.
Recht mager fällt dann auch die Berichterstattung des Unternehmens aus.
Mülltourismus und ein Ausstieg, der keiner ist
Die Fragen und Nicht-Antworten zu einem der heißesten Themen an dem Abend – dem so genannten Ausstieg aus der Versenkung von flüssigen Abfällen im Kalkarenit – haben demnach gar nicht stattgefunden. Das Unternehmen hatte mit großem medialen Aufwand angekündigt, diese Praxis des Endlagern von Flüssigmüll in 786 bis 1112 Metern Tiefe einzustellen. Im Landkreis Rotenburg/Wümme soll bis Ende 2016 damit Schluss sein, »auf Wunsch von Politik und Bevölkerung«, wie es großzügig in Exxons »Erdgas Journal – Informationen für unsere Nachbarn«, Ausgabe Juli 2015, formuliert ist. Allerdings will das Unternehmen den Müll nicht ersatzweise aufbereiten oder zumindest in jene tiefen Lagen zurückverpressen, aus dem er stammt, sondern ihn einfach über die Kreisgrenze verbringen und in der Bohrung Walsrode H1 – im Kalkarenit – verklappen. Diese Bohrung soll bis 2020 sämtliche anfallenden Abwässer aus allen Bohrungen aufnehmen, die ExxonMobil im Elbe-Weser-Gebiet betreibt. Fragen nach einer Erklärung dieses Mülltourismus wurden abgeblockt mit den Worten »Wir reden hier über den Landkreis Rotenburg.«
Dem Ziel, sich dann doch noch als »guter Nachbar« zu etablieren, ist ExxonMobil auch mit dieser Veranstaltung nicht näher gekommen. Ein, zwei Runden für den ganzen Saal auszugeben wie hier in Hemslingen, hätte vielleicht zu einer Karnevalsveranstaltung oder einer Jubelfeier gepasst, z. B. anlässlich der Ankündigung, nie wieder Fracking einzusetzen. So aber war das ein misslungener Werbegag, nicht einmal einer silbernen Zitrone wert.