Im emsländischen Ölfeld Scheerhorn ist an einer Verteilerstelle Flüssigkeit, vermutlich Lagerstättenwasser in den Oberboden ausgelaufen. Darüber informierte gestern das Betreiber-Unternehmen GdF Suez. Das LBEG als zuständige Bergaufsicht bestätigte die Vermutung, dass es sich bei der ausgelaufenen Substanz um Lagerstättenwasser handelte.
Ein Mitarbeiter der Eigentümerin der Leitung, GdF Suez, habe am vergangenen Freitag in der Nähe einer Verteilerstelle eine nasse Stelle an der Oberfläche bemerkt. Inzwischen sei eine defekte Lagerstättenwasser-Leitung, die rund einen Meter tief im Boden vergraben war, gefunden und werde ausgetauscht, so Unternehmen und Behörde übereinstimmend.
Wieviel der giftigen Flüssigkeit ins Erdreich und eventuell ins hochstehende Grundwasser gesickert ist, sei noch unbekannt. Zur genauen Ermittlung des Schadens sei ein unabhängiger Gutachter eingesetzt worden. Ein Grundwasserschaden könne nicht ausgeschlossen werden, so das LBEG. Demgegenüber wusste GdF Suez: »Eine Gefahr für die Bevölkerung bestand zu keinem Zeitpunkt.« Ob eine Gefahr für die Bevölkerung noch entstehen könnte, weil das Giftgemisch das nutzbare Grundwasser erreicht oder der Boden kontaminiert ist, darüber schwiegen Unternehmen und Behörde bisher.
Risiko Lagerstättenwasser-Leitung
Defekte Lagerstättenwasser-Leitungen sind ein großes Problem der Erdöl- bzw. Erdgasproduktion in Norddeutschland. Die Leitungen, die in der Regel etwa einen Meter unter Geländeoberkante verlaufen, bilden Netze von mehreren hundert Kilometern Gesamtlänge und sind teilweise überaltert. Zumindest in der Vergangenheit waren sie zudem oft aus ungeeignetem Material beschaffen – aus Polyethylen, das nachweislich nicht diffusionsdicht für Benzol und Quecksilber ist.
Wie groß der durch undichte Leitungen entstandene Umweltschaden bereits ist, kann nur ansatzweise erahnt werden. Allein seit 2012 gab es durch das LBEG etwa 44 solcher Schadensmeldungen aus Niedersachsen, darunter Sammelmeldungen über mehrere Schadensfälle.
Benzol- und Quecksilberfunde, z. B. in den Feldern Völkersen und Söhlingen, erhärten den Verdacht, dass der Gesamtschaden immens sein muss. Steigende Krebszahlen, nachgewiesen in der Samtgemeinde Bothel und befürchtet in weiteren Arealen, z. B. Sottrum, in denen Kohlenwasserstoffe aus dem Untergrund geholt werden, könnten weitere Hinweise auf ein fragwürdiges Handeln der Industrie und der zuständigen Behörden geben.
Sowohl die Untersuchungen zu Benzol- und Quecksilberkontaminationen als auch zu den zunehmenden Krebserkrankungsfällen waren erst auf Initiativen aus der Bevölkerung zu Stande gekommen. Erst in jüngeren Jahren ist überhaupt begonnen worden, die Umweltfolgen der rund hundert Jahre alten Förderpraxis zu erforschen.
Das LBEG hat nach Angaben auf seiner Website den Einsatz von PE-Rohren zum Transport von Lagerstättenwasser vor Kurzem überprüfen und sich deren Eignung nachweisen lassen.
Hintergrund zu Lagerstättenwasser
Lagerstättenwasser ist Wasser aus Lagerstätten. Es ist extrem salzhaltig und enthält, je nach Lagerstätte, unterschiedliche Anteile von Kohlenwasserstoffen (z. B. die monoaromatischen Kohlenwasserstoffe Benzol, Toluol, Ethylbenzole und Xylole, kurz BTEX, oder auch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, kurz PAK), Schwermetalle und natürlich vorkommende radioaktive Substanzen. Die meisten dieser Stoffe sind toxisch, d. h. umwelt- und gesundheitsschädlich, und können z. B. Krebs auslösen.
Wegen seiner Giftigkeit ist der Umgang mit Lagerstättenwasser höchst kritisch. Es wird nach der Förderung vom Öl bzw. Gas abgeschieden und in Tanks gesammelt, um dann per Leitung oder Tanklastwagen zu sog. Versenk- oder Verpressbohrungen transportiert und im Untergrund »entsorgt« zu werden. So sind inzwischen viele Millionen Kubikmeter dieser gefährlichen Flüssigkeiten in teils weniger als 1000 Metern Tiefe »ihrem Schicksal überlassen« worden: Niemand weiß, wie sie sich im Untergrund verhalten, wohin sie sich ausbreiten und ob sie eventuell in nutzbare Grundwasserleiter aufsteigen. Ob die teils erheblichen Erdbeben, die in den letzten Jahren im norddeutschen »Gasland« zu beobachten waren, allein auf die Ausförderung der Lagerstätten oder auch auf die Verpresstätigkeiten zurückzuführen sind, ist bislang unklar.
Kritiker dieser Art von Sondermüll-Verklappung fordern schon lange eine umweltkonforme, schadlose Aufbereitung und Entsorgung von Lagerstättenwasser.