Nach dem »Einsatz von Diesel als Zusatzstoff bei Frackbohrungen« in einem konkreten Fall in der Vergangenheit hatten sich die Grünen Landtagsabgeordneten Elke Twesten und Volker Bajus bei der niedersächsischen Landesregierung erkundigt. Das Risiko einer unkontrollierten Freisetzung des verwendeten Diesels verbunden mit einer Gefährdung von Grund- und Trinkwasser sei »vom damaligen Landesbergamt Clausthal-Zellerfeld, Außenstelle Celle, als gering und das Vorhaben insgesamt als zulassungsfähig beurteilt« worden, teilte Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) in seiner Antwort mit (Nds. LT Drs. 17/3569).
Ob das Celler Bergamt sich auch der erheblichen Gesundheitsgefahren durch Diesel in der Umwelt bewusst war, als es das Vorhaben zuließ?
Das geht aus Lies‘ Antwort nicht hervor. Er selbst listet diese Gefahren allerdings auf, darunter, dass Diesel Krebs erzeugen kann. Ansonsten geht auch aus diesem Vorgang wieder einmal hervor, dass Verwaltung und Politik in Niedersachsen herzlich wenig Ahnung davon haben, was bisher schon tatsächlich beim Fracking im »heimischen« tiefen Sandstein – neuerdings irreführenderweise »konventionelles Fracking« genannt – vor sich ging.
Ziemlich giftig
5388 Kilogramm der nicht näher bezeichneten Chemikalie »Diesel« waren im Landkreis Rotenburg/Wümme beim Fracking der Bohrung Söhlingen Z15 am 16. Mai 2003 in den Untergrund verbracht worden.
»Diesel« ist die Bezeichnung für eine Gruppe von unterschiedlichen Stoffgemischen, die aus Kohlenwasserstoffen zusammengesetzt sind. Die europäische Chemikalienagentur ECHA kennt Dutzende verschiedene Formen von Diesel. Die Gefahrenmerkmale, die in der Lies’schen Antwort aufgeführt sind, gelten offenbar für den Treibstoff Diesel (CAS 68334-30-5):
– Entzündbare Flüssigkeit, Kategorie 3,
– Aspirationsgefahr, Kategorie 1,
– Akute Toxizität, Kategorie 4 (Einatmung),
– Ätz-/Reizwirkung auf die Haut, Kategorie 2,
– Kanzerogenität, Kategorie 2,
– Spezifische Zielorgan-Toxizität bei wiederholter Exposition, Kategorie 2,
– Chronisch aquatische Toxizität, Kategorie 2.
(Nds. LT Drs. 17/3569)
Definitionen dieser internationalen Gefahrenklassen bei der BAUA [PDF]
Diesel ist in der Wassergefährdungsklasse 2 eingeordnet.
Bergbehörden glänzen durch Nichtwissen
Ob Diesel auch noch in anderen niedersächsischen Bohrungen als der Söhlingen Z15 zum Fracking verwendet wurde, weiß der oberste Bergmann Niedersachsens, der Olaf Lies in seiner Funktion als Wirtschaftsminister auch ist, momentan noch nicht. In seiner Antwort an Twesten und Bajus erklärt er:
Es existiert bisher keine statistisch auswertbare Auflistung sämtlicher Einzelsubstanzen, die bei den derzeit bekannten 326 einzelnen Frac-Maßnahmen in Niedersachsen verwendet wurden. Angesichts der zur Verfügung stehenden Bearbeitungszeit und des teilweise lückenhaften Informationsgehaltes älterer Aktenbestände sind daher belastbare Auskünfte, ob und in welchem Umfang Diesel oder Dieselbegleitstoffe auch bei anderen Frac-Vorhaben in Niedersachsen anteilig eingesetzt wurde, im Rahmen der Beantwortung der Kleinen Anfrage nicht möglich. (Nds. LT Drs. 17/3569)
Mit anderen Worten: Die zuständigen Behörden wissen heute nicht, was sie früher genehmigt haben. Oder wussten sie schon bei der Zulassung jener Frack-Maßnahmen selbst nicht so genau, was sie da eigentlich genehmigen? Oder unterstellt die folgende Aussage, ebenfalls von Olaf Lies, dass die Unternehmen, die in Niedersachsen schon gefrackt haben, Chemikalien ohne bergrechtliche Zulassung verwendet haben?
Entsprechend der aktuellen Rechtslage hat die Bergbehörde im Zusammenhang mit Frac-Vorhaben u. a. zu prüfen, ob die Vorgaben der Europäischen Verordnungen (EG) Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH-Verordnung) sowie der CLP-Verordnung hinsichtlich der zum Einsatz kommenden Frac-Fluide beachtet worden sind. (Nds. LT Drs. 17/3569)
Dass sich die niedersächsischen Bergbehörden – das Wirtschaftsministerium als oberste und das LBEG als obere Bergbehörde – mit Fragen nach den Chemikalien, die in der Vergangenheit schon im niedersächsischen Untergrund ausgebracht wurden, schwer tun, zeigt auch die extreme Latenz einer bis heute nicht erteilten Antwort auf eine weitere Landtagsanfrage: Bereits am 12. März 2015 hatten die FDP-Abgeordneten Jörg Bode, Gabriela König und Gero Hocker gefragt: »Bekommen die chemischen Substanzen des Erdöl- und Erdgas-Fracking Eingang in das europäische REACH-Register?« Damit erkundigen sie sich u. a. nach sämtlichen Chemikalien, die zwischen 1982 und 2010 mit 52 Fracks in 21 Söhlinger Bohrungen zum Einsatz kamen – offensichtlich eine Mammutaufgabe für die Behörde, die diese Informationen eigentlich auf Knopfdruck ausgeben können müsste.
Sonderbare Rechtsauffassung
Diesel, der Stoff, dessen Einsatz beim Fracking sogar in den USA mit ihren Fracking-freundlichen Wassergesetzen fast ausnahmslos unzulässig ist, könnte nach Auffassung der Landesregierung auch weiterhin beim Fracking zum Einsatz kommen. Noch einmal Lies:
Nach derzeitiger Rechtslage wäre der Einsatz von Diesel als Additiv in Frac-Flüssigkeiten genehmigungsfähig, sofern eine Grund- und Trinkwassergefährdung unwahrscheinlich ist und das Gesamtgemisch die Vorgaben des Chemikalienrechts, insbesondere der Reach- und der CLP-Verordnung erfüllt. Vor diesem Hintergrund hat sich die Landesregierung im Bundesratsverfahren (BR-Drs. 143/15) u. a. dafür eingesetzt, dass zukünftig nur noch Gemische verwendet werden dürfen, die im ungünstigsten zulässigen Mischungsverhältnis nicht als gefährlich gemäß der CLP-Verordnung einzustufen sind. (Nds. LT Drs. 17/3569)
Was Lies hier mit »unwahrscheinlich« meint, ist unklar. Das Gesetz zum Schutz des Wasserhaushaltes (WHG) kennt diesen Begriff nicht. »unwahrscheinlich« ist hier genauso wertlos wie der bei manchen Politikern auch sehr beliebte Begriff »umwelttoxisch«, ein Terminus, der im Chemikalienrecht nicht existiert. Oder der neumodische Begriff »konventionelles Fracking«, eine Erfindung aus dem Hause Gabriel, die in der Realität nichts bezeichnet. Alle diese Un-Wörter dienen nur dazu, die Öffentlichkeit zu verwirren, Fracking harmloser erscheinen zu lassen, als es ist, und sich nicht auf die Forderung einzulassen, die von weit über zwei Dritteln der bundesdeutschen Bevölkerung vorgetragen wird: Fracking ohne Wenn und Aber zu verbieten.
Die Gasindustrie behauptet, Fracking in Niedersachsens Tight-Gas-Lagerstätten im dichten Sandstein sei »mehr als 300‑mal sicher und umweltverträglich zum Einsatz« gekommen. Dabei habe es »nicht einen dokumentierten Fall von Grundwasserverunreinigung« gegeben – also auch nicht durch Diesel. Den Beweis für ihre kühne Behauptung bleibt die Industrie jedoch schuldig, denn die Umweltverträglichkeit von tonnenweise, teils sehr umwelt- bzw. gesundheitsschädlicher und einer ganzen Latte unbekannter Chemikalien im niedersächsischen tiefen Sandstein noch gar nicht hinreichend untersucht worden.
So ist es allein schon aus wissenschaftlicher Sicht unbegreiflich, dass die Bundesregierung – mit tatkräftiger Unterstützung der niedersächsischen Landesregierung, die der Industrie offenbar aufs Wort glaubt – das Fracking in Sandstein jetzt auch noch ausdrücklich erlauben will. Sie riskiert damit Schäden am Grundwasser, an der belebten Natur und der öffentlichen Gesundheit durch gefährliche Chemikalien, die dabei in den Untergrund gebracht werden und unvermeidbar aus diesem auch zu Tage treten.
Ein Gedanke zu „Gefährliche Chemikalien beim Fracking: 1. Diesel“
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