Immer noch bedroht mögliches Fracking die Sicherheit von Hamburgs Trinkwasserversorgung. Eine Tatsache, die Hamburgs Regierung gern verschleiern und vertuschen wollte.
Im Juli 2016 hat die Hamburger Regierung den aktualisierten »Statusbericht zur Trinkwasserversorgung in Hamburg« (Drucksache 21/5404) herausgegeben. Demnach »ist die Versorgungssicherheit innerhalb des Versorgungsgebietes der Hamburger Wasserwerke GmbH (HWW) für den Zeitraum bis 2045 knapp gewährleistet.«
Dabei bedrohen dem Bericht zufolge zahlreiche Risiken die »knapp gewährleistete« Versorgungssicherheit. Der Bericht nennt unter anderem
- eine Erhöhung des Trinkwasserbedarfs durch Bevölkerungszuwachs,
- die unsichere Fortsetzung der Grundwasserentnahme bei Buchholz in der Nordheide (Niedersachsen),
- eine Zunahme diffuser Schadstoffeinträge in das Grundwasser,
- Altlasten,
- Grundwasserversalzung,
- die Klimaveränderung und
- Fracking.
Drohendes Fracking kleingeredet
Das Risiko »Fracking« wird hier offensichtlich nur der Form halber aufgeführt. Denn in der Erläuterung wird dieses Risiko dann bis zur Nicht-Existenz kleingeredet:
»Nach Verabschiedung des Fracking-Gesetzespaketes durch den Bundestag am 24. Juni 2016 und Zustimmung des Bundesrates am 8. Juli 2016 ist davon auszugehen, dass in Zukunft nicht mehr mit Fracking-Vorhaben in den Einzugsgebieten der von Hamburg genutzten Trinkwassergewinnungsanlagen zu rechnen ist. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde ein zeitlich unbefristetes und generelles Fracking-Verbot in Wasserschutzgebieten und in Einzugsgebieten von Wasserentnahmestellen der öffentlichen Wasserversorgung festgeschrieben. Darüber
hinaus ist ein Verbot des gewerblich genutzten unkonventionellen Frackings zumindest bis zum Jahr 2021 im Gesetz verankert worden.
Gegenwärtig bestehen zudem keine bergrechtliche Aufsuchungserlaubnisse mehr, dessen Gebiete in Einzugsgebiete von Trinkwassergewinnungsanlagen hineinreichen. Konkrete Aktivitäten, wie z.B. die Erstellung von Probebohrungen oder gar die Gewinnung von Schiefergas, sind ebenfalls bislang nicht erfolgt und zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht geplant.« (Statusbericht, Seite 16; meine Hervorhebung)
Aufgrund solcher Fehlannahmen und Auslassungen versteigt sich die Autorin des Berichts – die vom grünen Umweltsenator Jens Kerstan geführte Behörde für Umwelt und Energie (BUE) – zu einer recht gewagten Behauptung:
»Die aktuelle Sachlage lässt den Schluss zu, dass (…) potentielle Gefahren für die Hamburger Trinkwasserversorgung durch Fracking-Vorhaben in Zukunft auszuschließen sind.« (ibid.)
Damit ist der Statusbericht in diesem Punkt zwar ganz auf Linie mit den hehren Worten des rot-grünen Koalitionsvertrages von 2015:
»Die Koalition lehnt die Förderung unkonventioneller Erdgasvorkommen mittels Fracking ab. Der Schutz von Trinkwasser und Gesundheit hat absoluten Vorrang. Vor diesem Hintergrund werden in Zukunft Anträge auf Probebohrungen und Bohrungen in Wasserschutz- und Wassereinzugsgebieten in Hamburg nicht unterstützt.«
Doch schon damals war diese Haltung der grünen Regierungsfraktion in Hamburg zum Fracking-Risiko als halbherzig und kleinmütig kritisiert worden. Mit dem faktischen Leugnen eines Fracking-Risikos für Hamburgs Trinkwasserversorgung zeigt sich nun einmal mehr, dass Grüne Politiker offenbar nur in der Opposition zu grüner Politik fähig sind.
Oberflächliche Behördenbehauptungen halten sachlicher Überprüfung nicht stand
Auf Nachfrage des Linken Bürgerschaftsabgeordneten Stephan Jersch musste die BUE allerdings zugeben, dass die kategorische Aussage »Gegenwärtig bestehen zudem keine bergrechtliche Aufsuchungserlaubnisse mehr, dessen Gebiete in Einzugsgebiete von Trinkwassergewinnungsanlagen hineinreichen.« falsch ist.
Und zwar nicht wegen der enthaltenen Grammatikfehler, sondern weil es tatsächlich sogar drei bergrechtliche Erlaubnisse zur Aufsuchung von Kohlenwasserstoffen oder Erdwärme gibt (beides kann Fracking beinhalten), die Grundwassereinzugsgebiete von HAMBURG WASSER berühren oder überlagern: Oldendorf-Verkleinerung, Lüneburg-Verkleinerung (Erdöl/Erdgas; beide orange in der Karte oben) und Wilhelmsburg (Erdwärme; gelb).
Bei zwei davon – Oldendorf-Verkleinerung und Lüneburg-Verkleinerung – »kommt die Erschließung unkonventioneller Lagerstätten seitens des Genehmigungsinhabers theoretisch in Betracht«, so die BUE in ihrer Antwort. Diese beiden Erlaubnisfelder berühren bzw. überlagern zwei große Trinkwassereinzugsgebiete im Versorgungsgebiet der HWW.
Betroffen ist zum einen das Wasserwerk Curslack, das laut Statusbericht insgesamt 16 Prozent von Hamburgs Trinkwasserversorgung gewährleistet und große Teile der Hamburger Innenstadt versorgt. Dessen südliches Einzugsgebiet ragt, unter anderem mit einer langen eiszeitlichen Rinne, tief ins Erlaubnisfeld Oldendorf-Verkleinerung hinein. Im Südosten wird es außerdem vom Erlaubnisfeld Lüneburg-Verkleinerung überlagert. Ebenfalls betroffen ist das Wasserwerk Buchholz in der Nordheide, das mit rund 14 Prozent zu Hamburgs Trinkwasserversorgung beiträgt. Dessen Einzugsgebiet wird in seinem Osten vom Erlaubnisfeld Oldendorf-Verkleinerung überlagert.
Potentielle Fracking-Lagerstätten unter Hamburgs Trinkwassereinzugsgebieten
Im Untergrund unter Hamburg und den angrenzenden Bundesländern existieren große und weitverbreitete unkonventionelle Lagerstätten von Erdöl und Erdgas.
Schieferöl/Schiefergas-Potenziale…
»Unkonventionelle« Erdöl- und Erdgas-Potenziale, die nach der neuen Gesetzgebung bis auf deutschlandweit vier Forschungsbohrungen zumindest bis 2021 nicht erbohrt werden dürfen, sind in Norddeutschland weit verbreitet:
»Große und zusammenhängende Gebiete mit Schieferölpotenzial liegen im Niedersächsischen Becken, kleinere Gebiete im OstholsteinTrog und bei Hamburg. Mit 1648 Mio. t (…) hat der Posidonienschiefer im Vergleich zu den anderen untersuchten Formationen das höchste Potenzial für Schieferöl. Die Gebiete mit Schiefergaspotenzial schließen südlich daran an und umfassen fast das gesamte südliche Niedersächsische Becken.« (BGR, NiKo-Studie 2016, S. 74)
Auf dieser Karte ist im Bereich Seevetal bereits ein mögliches Potenzialgebiet für Schieferöl eingezeichnet, das für eine Ausbeutung in nicht allzu ferner Zukunft geeignet sein könnte.
Weitere Hinweise auf Schiefergas, aber auch Tight-Öl-Potentiale (»Shale Gas/Tight Oil«) hat offensichtlich die ExxonMobil-Tochter EMPG im Erlaubnisfeld Vierlande gefunden und auf der Grundlage ein »Lagerstättenmodell für das Shale Gas/Tight Oil Play« erstellt (s. Jahresberichte 2013/2014).
Da das Gesetz bis 2021 »lediglich« vier Forschungsbohrungen in Schiefer-Lagerstätten erlaubt, die zudem von den betroffenen Bundesländern abgenickt werden müssten, dürfte Fracking nach Schiefergas bzw. -öl in Hamburg zunächst nicht zu erwarten sein. Schließlich will Rot-Grün solche Vorhaben laut Koalitionsvertrag »nicht unterstützen«.
… und Potentiale in anderen unkonventionellen Lagerstätten (tight gas/tight oil)
Ganz anders ist die Lage, was die Förderung von Erdöl und Erdgas aus dichten Speichergesteinen (tight oil/tight gas) angeht. Da es sich hierbei nicht um Schiefer-, Ton- oder Kohleflözgestein oder Aquifere handelt, ist das Fracking in diesen Lagerstätten nicht verboten. Das neue »Fracking-Gesetz« schreibt vor, dass derartige Frack-Maßnahmen erlaubt werden müssen, wenn im Zulassungsverfahren kein Versagensgrund vorgebracht wird.
Doch auch die Förderung aus diesen dichten Gesteinen erfordert Fracking oder ähnlich brachiale Methoden, da das Gestein so geringdurchlässig ist, dass der Rohstoff nicht von allein dem Bohrloch zufließt.
Solche tight-Lagerstätten sind in »der Region zwischen Hamburg, Bremen und Hannover sowie in Süddeutschland« anzutreffen (Quelle: LBEG 1998).
Im Erlaubnisfeld Oldendorf-Verkleinerung, so hat die dortige Bürgerinitiative »Kein Fracking in der Heide« recherchiert, erkundet die derzeitige Erlaubnisinhaberin Kimmeridge Erdöl-Lagerstätten im dichten Sandstein. Im östlich angrenzenden Erlaubnisfeld Lüneburg-Verkleinerung (ebenfalls Kimmeridge) findet sich eine vergleichbare Geologie, das Ziel der Erkundung dürfte daher dasselbe sein.
Hamburgs Umweltbehörde verneint Fracking-Risiko wider besseres Wissen
Alles zuvor Gesagte ist öffentlich zugängliches Wissen. Von der Behörde, die für die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser zuständig ist, muss verlangt werden, dass sie sich dieses Wissen zu eigen macht und dabei auch nicht an den Landesgrenzen stehen bleibt. So, wie Hamburgs Brunnen das Grundwasser auch über Landesgrenzen hinweg einziehen, sind sie betroffen, wenn das Grundwasser in ihrem Einzugsgebiet durch Fracking kontaminiert werden sollte. Und dass dieses Risiko nicht ausgeschlossen werden kann, davon zeugen sämtliche einschlägige Studien – eben weil keine von ihnen den Beweis erbringen konnte, dass Fracking unschädlich sein kann.
Anstatt wider besseres Wissen zu behaupten, dass Fracking Hamburg nicht mehr tangieren kann, und damit zu versuchen, die Menschen in Hamburg für dumm zu verkaufen, stünde es der Hamburger Regierung gut zu Gesicht, wenigstens in Zukunft das zu tun, wovor sie in der Vergangenheit gekniffen hat: Sich an allen bergrechtlichen Verfahren, die Hamburgs Belange berühren, zu beteiligen – auch dann, wenn die verhandelten Anträge Orte jenseits der Landesgrenze betreffen – und dabei immer für die Einhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen Umweltschutzes einzutreten. Im Gegensatz zur Hamburger Verwaltung kennt das einschlägige Bundesberggesetz keine Landesgrenzen, jedenfalls nicht, was die Behördenbeteiligung in Verfahren angeht (§§ 15, 54 BBergG).
Siehe auch: Fracking in Hamburg vom Tisch? bohrplatz.org, 14.12.2015