Wie sicher ist Fracking in dichtem Sandstein tatsächlich?
Im Eiltempo will die Bundesregierung das »Fracking-Gesetz« vom Stapel lassen. Das Fracking im dichten Sandstein, das jahrzehntelang in Niedersachsen praktiziert wurde, soll nun rechtssicher erlaubt werden. Damit es schön harmlos klingt, wurde dafür die irreführende Bezeichnung »konventionelles Fracking« erfunden. Eine gar nicht harmlose Sprache sprechen allerdings die Frac-Chemikalien, die im dichten Sandstein bereits eingesetzt wurden.
Um die 550 Tonnen Stoffe, deren chemikalienrechtlich zulässige Verwendung zum Fracking überwiegend fraglich ist, wurden allein seit Inkrafttreten der REACH-Verordnung im Jahr 20071 im niedersächsischen Gasfeld Söhlingen in den Untergrund gepresst. Darunter befanden sich wahrscheinlich mehr als 20 Tonnen Stoffe mit bioziden Wirkungen, die nicht die erforderlichen Zulassungen nach der Biozid-Verordnung1 hatten. Insgesamt waren es fast 2.248 Tonnen Chemikalien, die hier zwischen 1982 und 2010 mit insgesamt 52 Frac-Maßnahmen in die Umwelt gelangten. Diese Mengen lassen sich aus der Liste von Frac-Chemikalien2 ablesen, die der damalige Wirtschaftsminister Bode auf eine Anfrage des Abgeordneten Borngräber vor nunmehr 4 Jahren herausgab – eine veritable »Tabelle des Grauens«.
Die chemikalienrechtliche Analyse der darin aufgelisteten Frac-Chemikalien ergab zudem, dass die Gefährlichkeit bzw. Unbedenklichkeit von zahlreichen der genannten Stoffe (teilweise in Gemischen) nicht beurteilt werden kann, weil die Stoffe nicht eindeutig benannt sind3. Eine Nachfrage der Presse bei den zuständigen Bergbehörden nach genauen Stoffnamen und nach der Zulässigkeit von deren Einsatz beim Fracking ist seit über einem Jahr nicht beantwortet. Eine entsprechende Kleine Anfrage an die niedersächsische Landesregierung vom 12.3.154 war bis zum Redaktionsschluss dieser WATERKANT-Ausgabe noch nicht beantwortet. Allerdings gibt die Landesregierung im Zusammenhang mit Frac-Chemikalien zu, dass wegen »des teilweise lückenhaften Informationsgehaltes älterer Aktenbestände (…) belastbare Auskünfte (…) nicht möglich« seien5. Aufgrund welcher Aktenlage sind diese Frac-Maßnahmen dann zugelassen worden?
Aber auch schon die Betrachtung der 37 eindeutig erkennbaren Einzelstoffe fördert Erschreckendes zu Tage. Nur 2 von ihnen scheinen unbedenklich zu sein, der Rest weist ein oder mehrere Gefahrenmerkmale gemäß CLP-Verordnung1 auf: 25 Stoffe sind akut toxisch für die Gesundheit, 24 weisen spezifische Zielorgan-Toxizitäten auf, 7 sind krebserregend, 4 beeinträchtigen die Fortpflanzungsfähigkeit, einer schädigt das Erbgut, 4 sind akut und 9 chronisch toxisch für Wasserorganismen. Dazu kommt, dass die meisten dieser 37 Stoffe anscheinend nicht für die Verwendung im Bergbau registriert sind.
Außerdem ist das Schicksal von Frac-Chemikalien im Untergrund weitestgehend unbekannt. Wie reagieren sie mit den Stoffen, die zuvor beim Niederbringen der Bohrungen eingebracht wurden, und wie mit den natürlich im Untergrund vorkommenden? Welche Stoffe oder Verbindungen werden mit dem Flowback zurückgefördert, welche gelangen über die Fackeln in die Umwelt? Welche Folgen für Grund- und Trinkwasser hat die massenhafte Entsorgung von Chemikalien in flüssigen Abfällen in alten Bohrlöchern?
Der Informationsgehalt der Aktenbestände ist lückenhaft, ein Umweltmonitoring um Frac-Bohrungen hat bisher regelmäßig nicht stattgefunden. Da beruhigt es keineswegs, wenn der oberste Bergmann in Niedersachsen, Olaf Lies, unlängst behauptete, dass noch »kein Fall bekannt geworden [ist], bei dem der Einsatz der Frack-Technologie zu Umweltschäden in Niedersachsen geführt hat.«6 Das konnte er wohl nur behaupten, weil schlicht nicht kontrolliert wurde, ob und inwieweit die Umwelt durch Fracking chemisch beschädigt wird. Der Krebscluster, der im September 2014 erst auf Initiative von AnwohnerInnen in der Samtgemeinde Bothel aufgedeckt wurde7 – auf deren Fläche befinden sich 3 der 21 gefrackten Söhlinger Bohrungen –, könnte sogar ein Indiz für die Gefährdung bzw. Schädigung der menschlichen Gesundheit durch Fracking sein.
»Gravierende Wissenslücken über beteiligte Chemikalien und deren sichere Entsorgung verhindern zurzeit belastbare Bewertungen«, kommentiert der Fachausschuss »Chemikalien in Hydrofracking zur Erdgasgewinnung« der Wasserchemischen Gesellschaft in seiner Stellungnahme zum Fracking-Rechtsänderungspaket der Bundesregierung8. Die Einrichtung eines verbindlichen Registers für alle Frac-Chemikalien wird darin begrüßt, aber auch auf die noch weitestgehende Unkenntnis der Umweltauswirkungen dieser Stoffe bei Anwendung und Entsorgung hingewiesen. Diese verlange noch viel Forschung, so der Fachausschuss.
Unabhängig davon, ob das Fracking-Gesetz kommt oder nicht: Viel Forschung hat Niedersachsen zu erledigen und den Nachweis zu führen, dass bei den Zulassungen der bisherigen Frac-Maßnahmen alles nach Recht und Gesetz zugegangen ist. Und zu erklären, wieso bis jetzt offenbar unbeanstandet Stoffe verwendet wurden, deren Verwendung im Bergbau chemikalienrechtlich anscheinend unzulässig war. Ob sich dann herausstellt, dass es zu Zuwiderhandlungen gegen chemikalien- bzw. umweltrechtliche Vorschriften kam, die strafrechtlich geahndet werden müssten, bleibt abzuwarten. Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass sich Amtsträger durch eine materiell fehlerhafte Genehmigung der Mittäterschaft an einer Umweltstraftat schuldig gemacht hätten9.
Die Gasindustrie behauptet, Fracking in Niedersachsens Tight-Gas-Lagerstätten im dichten Sandstein sei »mehr als 300-mal sicher und umweltverträglich zum Einsatz« gekommen. Dabei habe es »nicht einen dokumentierten Fall von Grundwasserverunreinigung« gegeben10. Den Beweis für ihre kühne Behauptung bleibt die Industrie jedoch schuldig, denn die Umweltverträglichkeit z. B. von 2.248 Tonnen Chemikalien allein im Söhlinger Untergrund ist noch gar nicht hinreichend untersucht worden. So ist es allein schon aus wissenschaftlicher Sicht unbegreiflich, warum die Bundesregierung das Fracking in Sandstein jetzt auch noch ausdrücklich erlauben will. Und damit Schäden am Grundwasser, der belebten Natur und der öffentlichen Gesundheit durch gefährliche Chemikalien riskieren will, die dabei in den Untergrund gebracht werden und unvermeidbar aus dem Untergrund zu Tage treten.
- Die REACH -Verordnung (EG) 1907/2006 ist am 01.06.2007 in Kraft getreten.
Die Zulassungspflicht für Biozide existiert seit 1998 (EU-Richtlinie Nr. 98/8/EG; abgelöst durch Biozid-Verordnung (EU) Nr. 528/2012).
Die CLP-Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 regelt seit 20.01.2009 die Einstufung und Kennzeichnung von Stoffen entspr. ihrer Gefahrenmerkmale. - Niedersächs. Landtag, Drs. 16/3591 v. 19.04.2011
- z. B. Meiners et al. 2012; Schmitt-Jansen et al. 2012; eigene Recherche
- Niedersächs. Landtag, Drs. 17/3214 v. 12.3.2015
- Niedersächs. Landtag, Drs. 17/3569 v. 18.05.2015
- Niedersächs. Landtag, Minister Lies zu „Fracking in Niedersachsen“, 1.11.2013
- Epidemiologisches Krebsregister Niedersachsen, Bericht zur Samtgemeinde Bothel
- Fachausschuss „Chemikalien in Hydrofracking zur Erdgasgewinnung“ der Wasserchemischen Gesellschaft, Stellungnahme zum Gesetzentwurf zum Fracking. Vom Wasser 113 (2015) 1, 30-31
- BGH 2 StR 321/93 – Urteil v. 3.11.1993 (LG Darmstadt)
- Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung e.V., 05.06.2015
Erstpublikation in WATERKANT 2|2015