Über 1000 demonstrierten gegen eine »Asse« der Gas-Industrie

Über 1000 Menschen nahmen an der Demo teil
Über 1000 Menschen nahmen an der Demo gegen die drohende Mega-Verpressbohrung in Völkersen teil
»Kein Gift in unsere Erde – Wir wollen nicht die »Asse« der Erdgasindustrie werden!«. Mit diesem Kampfruf hatten die fünf örtlichen Bürgerinitiativen im Landkreis Verden – das rote X – am gestrigen Sonnabend zu einer Demonstration gegen die geplante Mega-Verpressstelle in Völkersen aufgerufen. Weit über 1000 Menschen aus Norddeutschland waren dem Aufruf gefolgt und zogen in einem beeindruckenden Zug aus Menschen, Fahrrädern, Kinderwagen, Rollstühlen und Treckern vom Dea-Betriebsplatz bei Schülingen zum Sportplatz in Völkersen.

Die Region im Landkreis Verden ist Erdgasfördergebiet seit Jahrzehnten, deren beklagenswerte Folgen sich zunehmend manifestieren: Quecksilber- und Benzol-kontaminierte Äcker, Erdbeben und Risse in den Häusern und die wachsende Angst vor krankmachenden Schadstoffen in Boden, Wasser und Luft. Und die Wut über eine skrupellose Industrie und Politik. Die plant jetzt die Verklappung von jährlich 130.000 Kubikmetern flüssigen Sondermülls in die ausgeförderte, gefrackte Bohrung Völkersen Nord Z3 – ohne schädliche Folgen sicher ausschließen zu können, wie die Bürgerinitiativen betonen.

Demo gegen Lagerstättenwasser-Verpressung zwischen Dahlbrügge und Völkersen
Demo-Zug auf dem platten Land. In der (Landes-)Hauptstadt hätte er noch mehr Aufsehen erregt.
Bei der Abschlusskundgebung kommentierten die drei Bundestagsabgeordneten aus der Region – Christina Jantz (SPD), Andreas Mattfeld (CDU) und Herbert Behrens (Die LINKE.) die Situation vor Ort und in Berlin jeweils auf ihre Weise.

Jantz meinte, mit dem Fracking-Gesetzentwurf sei man auf gutem Wege, Fracking mit strengen Auflagen in sichere Bahnen zu lenken. Bei der so genannten Beweislastumkehr müsse aber noch nachgebessert werden, weil die Beweislast weiterhin bei den Geschädigten liege.

Mattfeldt wetterte gegen den Gesetzentwurf, weil er weiterhin die Verpressung von Lagerstättenwasser vorsieht. Dabei sei die oberirdische Aufbereitung mit dem Ultrafiltrationsverfahren heute schon möglich, die gefährliche Verpressung erübrige sich somit. Außerdem dürfe die Debatte nicht auf Fracking allein beschränkt werden, sondern müsse die so genannte konventionelle Förderung mit einbeziehen: Auch hier seien bereits zahlreiche Risiken und Störfälle zu verzeichnen, wie undichte Lagerstättenwasser-Leitungen und Erdbeben. Mattfeldt forderte, die verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfung nicht nur bei Fracking-Vorhaben, sondern bei jeglichen Erdgas-Fördervorhaben vorzuschreiben.

Installation: Landeswirtschaftminister Olaf Lies im Verbund mit der Frack-Industrie am Bohrturm
Die Umweltgruppe Wiedensahl war mit einer vielsagenden Installation dabei.
Behrens warnte davor, den Worten aus Berlin unbesehen Glauben zu schenken. Die Ankündigung, dass die Diskussion um Verbesserungen des Gesetzentwurfes jetzt, nach der schon stattgefundenen ersten Debatte im Bundestag und dem erbärmlichen Beschluss des Bundesrates, erst richtig losgehen würde, hielt er für falsch und belegte diese Behauptung mit der undebattierten Zustimmung zum Maut-Gesetz, bei dem genauso versprochen worden war, es erst noch scharf zu diskutieren und zu verbessern. Den Fracking-Gesetzentwurf bezeichnete Behrens als Katastrophe für Niedersachsen, unter anderem, weil sämtliche Regulierungen darin ausschließlich zukunftsgerichtet seien: Bereits laufende oder auch nur schon beantragte Vorhaben seien davon nicht erfasst und würden noch nach altem Recht behandelt werden.

Mehrere Luftballons mit Postkarten »Kein Gift in unsere Erde«
Luftballonaktion in Völkersen mit Post für Andreas Sikorski, Präsident des Landesbergamts: »Kein Gift in unsere Erde« lautet die Botschaft.
Andreas Brandt, Bürgermeister des Fleckens Langwedel, gab mit seiner anschließenden Rede einen Eindruck von den Sorgen und Existenzängsten der Menschen vor Ort. Wenn er an den Fracking-Gesetzentwurf denke, werde ihm angst und bange, sagte er auch im Hinblick auf die Kinder, die kommenden Generationen. Gesetze helfen nicht gegen Störfälle, meinte er treffend und forderte die Dea und die Genehmigungsbehörde auf, von dem fürchterlichen Plan abzulassen, jedes Jahr 130 Tausend Kubikmeter giftiges Lagerstättenwasser in Völkersen zu verpressen.

Felix Stellfeldt von der Bürgerinitiative Intschede erzählte zum Schluss die Mutmach-Geschichte, wie es bis jetzt gelungen ist, der Dea, die in der Gemeinde eine neue Bohrung niederbringen will, bis heute keinen einzigen Quadratzentimeter Land dafür zu geben. Die Geschichte zeigt, dass es möglich ist, die Gasindustrie von Anfang an zu stoppen, selbst wenn die Behörden Genehmigungen erteilt haben.

Schlusskundgebung auf dem Völkersener Sportplatz. Linkes Foto (v.l.n.r.): Felix Stellfeldt, Andreas Brandt, Herbert Behrens, Christina Jantz, Andreas Mattfeldt, Andreas Noltemeyer.
Abschlusskundgebung auf dem Völkersener Sportplatz. Linkes Foto (v.l.n.r.): Felix Stellfeldt, Andreas Brandt, Herbert Behrens, Christina Jantz, Andreas Mattfeldt, Andreas Noltemeyer.

Hintergrund:
Die »Dea« (DEA Deutsche Erdöl AG; vormals RWE Dea AG) fördert seit mehreren Jahrzehnten Erdgas aus der Lagerstätte Völkersen. Die Erdbeben, die in den vergangenen Jahren aufgetreten sind und zu Schäden an Grundstücken und Immobilien geführt haben, und die Kontamination von Ackerböden durch ausgelaufenes Lagerstättenwasser bzw. diffundiertes Benzol und Quecksilber, die nicht etwa durch das Unternehmen oder die Bergaufsicht, sondern erst auf Betreiben der Bürger vor Ort entdeckt wurden, sind nicht hinzunehmende Auswirkungen der Gasproduktion an diesem Ort.

Im April 2013 hat das Unternehmen einen Antrag auf Planfeststellung für die Erhöhung des Fördervolumens auf dem Förderplatz der Völkersen Z3/Z11 eingereicht – um die allgemein rückläufige Produktionsmenge anzukurbeln, wie es auf einer Unternehmenswebsite heißt. Der Antrag »ruht« zurzeit, weil Bürger massive Einwendungen eingebracht haben.

Seit 2013 ist die Dea auf der Suche nach einem Bohrplatz im Bereich Intschede, um die Völkensener Lagerstätte von Süden her, unter der Weser durch, anzubohren. Die Suche war dank des geschlossenen Widerstandes der betroffenen Gemeinden bisher erfolglos.

Unter dem knackigen Slogan »Dorthin zurückbringen, wo es herkommt«, plant die Dea das bisher größte unterirdische Endlager für so genanntes Lagerstättenwasser in Norddeutschland. Einen Zulassungsantrag dafür hatte das Unternehmen schon im Jahr 2012 gestellt, wie – neben anderen interessanten Informationen – aus einer Antwort des damaligen Wirtschaftministers Bode hervorgeht. Der Slogan, der stark an das positiv besetzte »Aus der Region für die Region« erinnert, klingt nur gut, ist aber unehrlich: In Wirklichkeit ist aktuell geplant, produziertes Wasser (»Lagerstättenwasser«) auch aus anderen Bohrungen im Umkreis von ca. 80 Kilometern dort in Völkersen Nord Z3 zu verklappen.

Um die angebliche Unbedenklichkeit der Verpressung von jährlich über 100 Tausend Kubikmetern des flüssigen Abfalls zu untermauern, hatte die Dea ein Gutachten zum »nachhaltigen Umgang mit Lagerstättenwasser« bei einem »unabhängigen Expertenteam« in Auftrag gegeben. Dieses erschien in seiner endgültigen Fassung zwar erst Mitte 2014, was aber das Unternehmen nicht daran hinderte, der Öffentlichkeit schon vorher Ergebnisse des Gutachtens vorzustellen.

Das ist nur einer von vielen Mängeln, die die fünf Bürgerinitiativen im Landkreis Verden dem angeblich unabhängigen Gutachten ankreiden. Zahlreiche Verstöße gegen das gebotene, wissenschaftlich saubere Arbeiten, unbelegte Behauptungen, ignorierte Tatsachen und Schönfärberei werfen die Initiativen dem Unternehmen vor. In umfangreichen Schriften üben sie detaillierte, nachvollziehbare Kritik an dem Gutachten. Sie fordern, das Gutachten »nicht als Grundlage für eine Entscheidung über den Antrag der RWE Dea AG zur Verpressung von Lagerstättnwasser in die ausgeförderte Erdgaslagerstätte Völkersen Nord Z3« zu verwenden, und stellen fest, dass »die Einholung einer von unabhängigen Wissenschaftlern und Instituten erstellten umfassenden Untersuchung zu allen mit einer derartigen Verpressung verbundenen Risiken unabdingbar ist.«
Weitere Info dazu bei der BI Langwedel.

Menschenmenge auf dem Völkersener Sportplatz
Abschlusskundgebung gegen Lagerstättenwasser-Verpressung in Völkersen, 9. Mai 2015