An einer Sondermüll-Verklappstelle der Öl- und Gasindustrie haben Wissenschaftler so genannte endokrine Disruptoren (EDCs) gefunden. Das geht aus einer Studienveröffentlichung[1] im renommierten Fachjournal Science of The Total Environment hervor.
Diese Chemikalien, die durch Veränderung des Hormonsystems die Gesundheit eines Organismus schädigen, stammten aus dem Flüssigmüll, der beim Fracking angefallen und in den Untergrund verpresst worden war. Angesichts der unzähligen Verpressbohrungen, die derzeit weltweit den üblichen Entsorgungsweg für diesen gefährlichen Abfall darstellen, sei dieser Befund höchst besorgniserregend, so die Studienautoren – insbesondere, was die Gesundheit von Menschen und Tieren in der Nähe angehe.
Zur Untersuchung der möglichen Gesundheitsgefahr durch EDCs durch die unterirdische Verpressung von Abwässern aus der Frack-Industrie hatten die Forscher Wasserproben aus Oberflächengewässern gezogen, und zwar neben sowie im Abstrom einer exemplarischen Verpressbohrung in West Virginia und zum Vergleich im Anstrom dieser Bohrung. Sie analysierten die Proben und fanden EDCs, die eindeutig die verpressten Flüssigkeiten als Quelle hatten.
Die Analysen ergaben, dass der Gehalt an EDCs neben und im Abstrom der Verpressbohrung deutlich höher lag als im Anstrom. Es handelte sich dabei um Stoffe, die antagonistisch – als Gegenspieler der jeweiligen natürlichen Hormone – wirken. Konkret waren das Chemikalien, die die natürliche Wirkung von Östrogenen, Androgenen, Progesteron, Glukokortikoiden und Schilddrüsenhormonen beeinträchtigen.
Die gemessenen Konzentrationen waren geeignet, die Fortpflanzungsfähigkeit von Wasserlebewesen zu beeinträchtigen und/oder Entwicklungsstörungen bei deren Nachwuchs hervorzurufen. »Die Konzentrationen der EDCs lagen innerhalb oder höher als die, von denen bekannt ist, dass sie die Gesundheit von Wasserlebewesen beeinträchtigen«, bestätigte Professorin Susan C. Nagel von der University of Missouri, die die multidisziplinäre Studie geleitet hatte.
Etwa 1000 unterschiedliche chemische Stoffe wurden bislang schon beim Fracking eingesetzt. Über 100 davon sind entweder als EDCs bekannt oder stehen im Verdacht, als EDCs zu wirken. Beim Fracking entstehen sehr große Mengen an Abwasser, das Bohr- und Frack-Chemikalien sowie Schwermetalle, häufig auch radioaktive Isotope und eventuell Reaktionsprodukte unbekannter Toxizität enthält.
Zur Beseitigung dieses flüssigen Abfalls zieht die Industrie bis heute die Verpressung in den Untergrund anderen möglichen, umweltverträglicheren Verfahren vor. Angeblich sei nur die Verpressung wirtschaftlich. Passend dazu behaupten Unternehmen und Bergbehörden, die Endlagerung dieses Giftmülls im tiefen Untergrund sei durch abdichtende Schichten sicher bis in alle Ewigkeit. Laut einer Auskunft des LBEG-Mitarbeiter Klaus Söntgerath werden in Deutschland jährlich 11 Milliarden Liter dieses Abfalls in den Untergrund verpresst, wie der Weser-Kurier 2013 berichtete.
In den USA gibt es rund 36.000 Tiefbohrungen, erläuterte Dr. Christopher D. Kassotis von der Duke University in North Carolina, Erstautor der Studie und Spezialist für EDCs, und schloss daraus: »Angesichts der großen Anzahl von Disposal-Bohrungen in den USA ist es absolut kritisch, deren Potenzial zu untersuchen, die Gesundheit von Menschen und die Umwelt zu schädigen.«
Während die Entsorgungspraxis in Deutschland identisch mit der in den USA ist, liegt die Anzahl der Verpressbohrungen der Öl- und Gas-Industrie deutlich unter der in den USA. Doch allein in Niedersachsen, dem Bundesland mit der größten Öl- und Gas-Förderaktivität, existieren laut einer Angabe des ehemaligen Wirtschaftsministers Bode (FDP) über 40 dieser Endlager für den bedenklichen Flüssigmüll der Kohlenwasserstoff-Industrie, zahlreiche weitere dürften sich in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen befinden, in denen ebenfalls Erdgas beziehungsweise Erdöl gefördert werden oder wurden.
Die Fracking-Technik und die dabei eingesetzten Chemikalien sind überall auf der Erde die Selben. Auch in Deutschland sind seit dem offiziellen Beginn des Fracking hunderte, teils extrem toxische Chemikalien eingesetzt worden. Auch bei der Entsorgungspraxis gleichen sich die USA und Deutschland. Somit könnte die Kontamination von Oberflächengewässern mit EDCs und die davon ausgehende Gesundheitsgefährdung, die die hier berichtete Studie in West Virginia offenlegt, auch in Deutschland existieren. Entsprechende Untersuchungen scheinen dringend geboten, um im besten Fall eine mögliche Verschmutzung der Umwelt mit Giften, die schwere Erkrankungen und Entwicklungsstörungen hervorrufen können, auszuschließen.
Quelle:
Christopher D. Kassotis¹, , Luke R. Iwanowicz², Denise M. Akob³, Isabelle M. Cozzarelli³, Adam C. Mumford³, William H. Orem4, Susan C. Nagel5
Endocrine disrupting activities of surface water associated with a West Virginia oil and gas industry wastewater disposal site
Science of The Total Environment, In Press, Corrected Proof
doi:10.1016/j.scitotenv.2016.03.113
Received 27 January 2016, Revised 15 March 2016, Accepted 16 March 2016, Available online 10 April 2016
¹ Nicholas School of the Environment, Duke University, Durham, NC 27708, USA
² U.S. Geological Survey, Leetown Science Center, Fish Health Branch, 11649 Leetown Road, Kearneysville, WV 25430, USA
³ U.S. Geological Survey, National Research Program, 12201 Sunrise Valley Drive, MS 430, Reston, VA 20192, USA
U.S. Geological Survey, Eastern Energy Resources Science Center, 12201 Sunrise Valley Drive, MS 956, Reston, VA 20192, USA
5 Department of Obstetrics, Gynecology and Women’s Health, University of Missouri, Columbia, MO 65211, USA